Krieg um Afrikas wichtigsten Ölhafen

Port Harcourt, Zentrum des Ölhandels von Afrikas größtem Ölexporteur Nigeria, ist Kriegsschauplatz: Mit Luftangriffen will die Regierung Milizen in den Ölfeldern vernichten. Deren blutig ausgetragene Machtkämpfe haben hunderte Tote gefordert

VON DOMINIC JOHNSON

Vor zwanzig Jahren war Melford Dokubo Goodhead noch ein typischer radikaler Student in Nigeria, sozialistischer Widerständler gegen die Militärdiktatur. Heute nennt er sich Alhaji Dokubo Asari und führt die größte Bürgerkriegsarmee der nigerianischen Ölfelder. Der 40-Jährige beklagt die fortdauernde Entrechtung der Bevölkerung des Niger-Deltas, die von den Milliardeneinnahmen durch den Export des Öls unter ihrem Land nichts zu sehen bekommt; er verlangt Selbstbestimmung für seine eigene Ethnie der Ijaws, die viertgrößte Volksgruppe Nigerias; und den Anfang will er in der Ölstadt Port Harcourt machen, dem größten Ölhafen Afrikas. Und noch nie war der Krieg in Nigerias Ölfördergebieten so blutig wie heute. Allein seit Ende August, so berichtete amnesty international letzte Woche, hätten Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen um Port Harcourt bis zu 500 Tote gefordert.

Das ist viel selbst für Nigerias Ölgebiete, wo eine Studie der Sicherheitsfirma WAC Security im Auftrag von Shell letztes Jahr von 1.000 Gewaltopfern pro Jahr sprach und die Lage mit der in Tschetschenien verglich. Alle Völker der Region haben eigene bewaffnete Gruppen. Sie kämpfen gegen das Militär und auch gegeneinander um territoriale Kontrolle, damit sie Kommunalwahlen gewinnen und Ansprechpartner der Ölkonzerne sein können. Sie zapfen oberirdische Ölpipelines an und verkaufen das Rohöl an Schmugglersyndikate, um vom Erlös Waffen zu kaufen. Bis zu zehn Prozent der nigerianischen Ölförderung von 2,25 Millionen Barrel pro Tag verschwinden laut WAC auf diese Weise. Manchmal verschwinden ganze Öltanker samt Inhalt.

Nigerias Sicherheitskräfte können das sumpfige Labyrinth aus Flussarmen und Mangrovenwäldern von der Größe Irlands, aus dem das Niger-Flussdelta besteht, nicht kontrollieren. Sie greifen zu punktueller, blinder Gewalt. Die Führer der Ijaws, die jetzt um Port Harcourt kämpfen, erinnern sich noch gut an den November 1999, als die Armee in Reaktion auf die Ermordung von 12 entführten Polizisten die Kleinstadt Odi dem Erdboden gleichmachte; hunderte von Menschen starben. Das war nur kurz nach dem Ende der Militärdiktatur in Nigeria und dem Amtsantritt des gewählten Präsidenten Olusegun Obasanjo.

Opfer dieser Aktion war der damals von Dokubo Asari angeführte „Ijaw Youth Congress“ (IYC), deren militanten Flügel „Egbesu Boys“, auch „Niger Delta People’s Volunteer Force“ genannt, er mit geschätzt 2.000 Mann heute kommandiert. Wie alle bewaffneten Gruppen des Niger-Deltas sieht er sich im Krieg gegen Obasanjo, und dafür haben sich die Milizen der Ölfelder mit Sezessionisten in anderen Teilen Nigerias verbündet.

Der Konflikt um Port Harcourt geht auf die Wahlen 2003 zurück. Damals sorgten die lokalen Größen von Obasanjos Partei PDP (Volksdemokratische Partei) mit Stimmenkauf und Wahlmanipulation dafür, dass die Partei ausgerechnet im brodelnden Niger-Delta am meisten Stimmen gewann – teils 100 Prozent. Dies trieb unzufriedene Gruppen vollends in den bewaffneten Kampf. Eine der damals zur Wählereinschüchterung eingesetzten Milizen, der „Niger Delta Vigilante Service“ unter Führung von Ateke Tom, ist heute wichtigster Rivale von Dokubo Asari und seinen „Volunteers“. Im August begannen die beiden Gruppen, sich jeden Sonntag in Port Harcourt zu beschießen. Zuweilen überfielen sie mit Schnellfeuergewehren Restaurants und schossen alle Gäste nieder.

Als die Opferzahlen immer höher wurden und Dokubo die Eroberung Port Harcourts ankündigte, entließ PDP-Provinzgouverneur Peter Odili seine komplette Regierung unter dem Vorwurf der Unterstützung von „Geheimbünden“, und die Zentralregierung schickte in einer „Operation Ausspülung“ das Militär in die Stadt.

Luftangriffe aus Kampfhubschraubern trieben in der ersten Septemberwoche in den Sümpfen südlich von Port Harcourt tausende von Menschen in die Flucht. Am 10. September sprach die nigerianische Bürgerrechtsorganisation CDHR (Komitee zur Verteidigung der Menschenrechte) von mindestens 100 Toten und 6.000 Vertriebenen. Eine Woche später sprach amnesty international von 500 Toten und zehntausenden Flüchtlingen und kritisierte „Luftangriffe auf dicht besiedelte Gebiete“.

Die Behörden wiesen die Zahlen zurück. Aber ein Ende der Militäroperationen ist nicht in Sicht. Ende letzter Woche meldete die Armee, Dokubo habe ein Bombardement seines Buschhauptquartiers Ngotokukiri knapp überlebt.