: Pinkfarbene Kolonien im Sonnensystem
Individuelle Verantwortung und Verzicht: Auf der Suche nach dem Leben von morgen
Peter Sloterdijk, Mark Terkessidis, Cem Özdemir und Wolfgang Tiefensee wünschen sich eine besser gestaltete Zukunft. Gestaltung ist wörtlich zu nehmen als Schaffung materieller Objekte, denn hauptsächlich kreist das Buch „Bessere Zukunft? Auf der Suche nach den Räumen von Morgen“ um die Architektur der Zukunft. Die Autoren Friedrich von Borries und Matthias Böttger kuratierten auf der Architektur-Biennale 2008 den deutschen Pavillon, Florian Heilmeyer ist Journalist.
Sie haben 21 Architekten, Soziologen, Künstler oder Politiker interviewt, angereichert mit Informationen zu den erwähnten Projekten. Es geht um recyclebare Gebäude, getragen von Steck- und Vakuumsystemen. Ein Hybrid aus Architektur und Technik, der Beschädigungen selbstständig ausheilt. Pflanzen, die durch die Verschmelzung photosynthetischer Moleküle mit elektronischen Schaltkreisen zu Kraftwerken der Städte werden. Wie soll man heute, während die Technik im Sekundentakt voranschreitet, Entwicklungen der Zukunft planen? Entwürfe für schadstoff- und energieneutrales Bauen und Leben gibt es seit den Siebzigerjahren. Bis heute aber würden sich aus diesem Wissen konsequent ergebende Instrumente nicht entwickelt, gibt der Bauingenieur Werner Sobek zu Protokoll, der noch in den Neunzigern mit Vorlesungen über recyclebaren Leichtbau Lacher erntete.
Nach der Flutkatastrophe in New Orleans hatte der Schauspieler das Hilfsprojekt „Make it right“ für den Bau ökologisch-nachhaltiger Häuser gegründet. Die Werbekampagne, getragen von pinkfarbenen Stoffhäusern, entwarf ein Berliner Architekturbüro, und plötzlich floss das für die Umsetzung notwendige Geld. Der Architekt Philipp Oswalt meint, man müsse sich davor hüten, „mit Ersatzhandlungen den Kulturbetrieb zu befriedigen und dabei von den gesellschaftlichen Problemen und politischen Handlungsdefiziten abzulenken“. Die Frage, ob die pinkfarbenen Häuser in Designermagazine oder Brüsseler Handlungsrichtlinien gehören, bleibt unbeantwortet. Die Häuser jedenfalls befinden sich im Bau. Trotzdem sind da noch Probleme wie der steigende Meeresspiegel, die Unvorhersehbarkeit der Klimaentwicklung. Und auch wenn die Wachstumsraten sinken, leben bald 75 Prozent der Weltbevölkerung in Städten.
Glaubt man dem Buch, verschließt gerade Europa die Augen davor, ist die Krise hier dauerhafter Zustand. Nicht nur die Unruhen an den Grenzanlagen der Exklave Melilla lassen die „Festung“ als Antwort auf Migration fragwürdig erscheinen. Man verstärkt die Zäune und richtet sich auf der nächsten Ebene des Provisoriums ein, kritisiert Mark Terkessidis. Dabei ist bekannt, wie teuer Abschottung und Kontrolle seien und wie wichtig Zuwanderung. Sloterdijk sieht einen direkten Weg von der Einraumwohnung über die Gated Communities zu sozialer und ökologischer Einkapselung, einem „Kristallpalast in kontinentalem Ausmaß“, der mit der Entwicklung nur wenig zu tun hat. Die Arabischen Emirate immerhin haben 22 Milliarden US-Dollar in den Bau einer „Triple-zero-Stadt“ investiert. Nach dem Masterplan des Architekturbüros Foster and Partners entsteht seit 2008 Masdar City: selbstversorgend, CO2-neutral und nach dem Vorbild traditioneller, flach und eng konzipierter Wüstenstädte.
Masdar City – Stadt der Zukunft? Wohl kaum, denn Dezentralisierung und Flächenausnutzung zur Energiegewinnung widersprechen der Ersparnis, die kurze Wege und hohe Gebäude mit geringer Oberfläche mit sich bringen. Nach Oswalt ist die Formulierung urbaner Zukunftsvisionen unmöglich: „Es wäre schon eine sehr anspruchsvolle Frage, wie eine angemessene Stadtstruktur heute aussehen soll.“ Sich vorzunehmen das Schlimmste zu verhindern, könnte aber ein Anfang sein.
Das Buch predigt aber nicht individuelle Verantwortung und Verzicht, sondern setzt bei neuen Konzepten von Leben und Bauen an. Doch die Welt ist komplex und umfassend und passt kaum in ein Buch.
„Bessere Zukunft?“ hätte, da Problematik und Lösungsvorschläge doch relativ bekannt erscheinen, mit mehr Mut zur Science-Fiction spannender sein können. Im Gegensatz zu Routiniers wie Özdemir und Tiefensee gibt wenigstens Nasa-Chef Michael Griffin einen ungewohnt konkreten Ausblick. Er empfiehlt, der Erde mitsamt Umweltproblemen den Rücken zu kehren und das Sonnensystem zu kolonisieren. So einfach ist das. SONJA VOGEL
Friedrich von Borries, Matthias Böttger, Florian Heilmeyer: „Bessere Zukunft? Auf der Suche nach den Räumen von Morgen“. Merve Verlag, Berlin 2008, 166 Seiten, 12 Euro