: Aus Gegnern werden Partner
In Sachsen bleibt rechnerisch und politisch nur eine Koalition der Verlierer. Aber CDU und SPD sind sich keineswegs durchweg wohlgesinnt. Die beschaulichen Zeiten sind in Dresden jedenfalls vorbei
DRESDEN taz ■ Eine halbe Stunde vor Mitternacht entlud sich auf der grünen Wahlparty die angestaute Spannung im Jubel. Mit den spät gemeldeten Ergebnissen aus den Großstädten war man endlich „drin“, wenn auch nur knapp mit 5,1 Prozent. Wunderkerzen brannten, Spitzenkandidatin Antje Hermenau hoppste mit Parteichef Bütikofer durch den Saal. Bis zuletzt hatte ein Zehntelprozent gefehlt, um die Fünfprozenthürde zu nehmen.
Regierungspolitik wie in Berlin wird für die Grünen damit freilich nicht verbunden sein, sondern die angekündigte Opposition. Eine Aussage, die einige sicher geglaubte grüne Wähler davon abgehalten haben soll, ihre Favoriten auch zu wählen. Eine schwarz-grüne Option aber, da ist man sich einig, wäre ein größerer Fehler gewesen.
Sie hätte bei sechs Mandaten auch rechnerisch nichts genützt – wie den Liberalen übrigens auch. „Wenn man schlicht die Landtagssitze addiert, kommt man darauf, dass CDU und FDP zusammen keine Mehrheit haben“, weicht Ralph Schreiber als Sprecher des CDU-Landesvorstandes der Frage nach einem möglichen Koalitionspartner aus. Alles Weitere werde der Landesvorstand am Montagabend entscheiden.
Erst mit dem späten Einzug der Grünen war die endgültige Sitzverteilung im künftigen Sächsischen Landtag klar geworden. Die CDU-Fraktion schrumpft von bisher 77 auf 55 Sitze und profitiert dabei noch von zwei Überhangmandaten, weil sie 55 der 60 Wahlkreise direkt gewonnen hat. Die beiden dadurch fälligen Ausgleichsmandate kommen der PDS und der SPD zugute. Die Mehrheit in dem auf 124 Sitze gewachsenen Landtag liegt also bei 63 Stimmen und wird von CDU und der siebenköpfigen FDP-Fraktion nicht erreicht. Ministerpräsident Georg Milbradt vermied es am Wahlabend, auf die Offerten der Liberalen einzugehen. Deren Spitzenkandidat Holger Zastrow hatte nach den ersten, günstigeren Hochrechnungen sein Angebot wiederholt, gemeinsam eine „stabile bürgerliche Politik“ zu sichern. Als wichtigsten Preis dafür hatte er Reformen in der Bildungspolitik genannt. Ein guter Milbradt-Vertrauter aber warnte umgehend davor, sich mit den Liberalen einzulassen. Arnold Vaatz, einst Minister in Sachsen und jetzt im Bundestag, sah weder greifbare Inhalte noch zumutbares Personal bei der FDP in Sachsen.
Das hat sich inzwischen erledigt. Wahrscheinlicher ist, dass ausgerechnet die SPD im Jahr ihres schlechtesten Abschneidens zum Koalitionspartner avanciert. „Da wird der Thomas noch Minister“, hatte der Magdeburger Fraktionschef Jens Bullerjahn schon Anfang August über seinen sächsischen Kollegen Thomas Jurk orakelt. „Ich rechne mit einem Gesprächsangebot der CDU“, sagte der dem MDR am Montag vor seiner Abreise in die Berliner Parteizentrale.
Diese mittelgroße Koalition – die SPD erreichte nur 13 Mandate – birgt indessen einigen Zündstoff. Kaum vorstellbar, dass der bislang bissigste Regierungskontrolleur und „Chefaufklärer“, der profilierte SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle, plötzlich selbst in Regierungsverantwortung kommt. „Jeder tut, was er kann an seinem Platz“, weicht er solchen Fragen aus. Ein offenes Geheimnis ist, dass die von der SPD im Wahlkampf favorisierten Themen auch in Koalitionsverhandlungen Priorität haben werden. Voran die Bildungspolitik, wo es mit Forderungen nach achtjähriger gemeinsamer Schulzeit, Vermeidung weiterer Schulschließungen oder besserer Hochschulausstattung unüberbrückbare Gegensätze zur CDU gibt. Nolle fügt noch die Mittelstandsförderung, regionale Wirtschaftspolitik oder eine bessere kommunale Finanzausstattung als Knackpunkte hinzu. Und wenn man sich nicht einigen kann? „Dann bleiben nur Neuwahlen.“ Angesichts des NPD-Erfolgs aber sollten nach seiner Auffassung alle Demokraten zum Konsens fähig sein.
MICHAEL BARTSCH