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Archiv-Artikel

Echt? Falsch? Egal. Es flimmert!

Zwei neue Ausstellungen in der Kunsthalle Bremen. Tempel, Kirchen, Museen, romantische Natur und andere sakrale Orte sind im Kupferstichkabinett zu sehen. Im Dachgeschoss darf sich die Bremer Videokünstlerin Marikke Heinz-Hoek präsentieren

Unten, als Basis, die Klassiker der Moderne. Darüber, in der 1. Etage, die Klassiker ohne Moderne. Darüber ein Saal für John Cage – und die Videokunst. Nur ganz oben?

Nein, auch ganz unten ist die Mode, Kunst auf TV-Schirm-Format zu quetschen und zu Installationen aufzutürmen, deutlich überrepräsentiert. Im Treppenhaus: Videokunst. Und im Kunsthallen-Mittelgeschoss werden nicht nur „Die Deutsch-Römer“ des 19. Jahrhunderts und die Landschaftsmaler der deutschen Romantik von Videokunst belästigt. Benötigt das Dauergeflimmer die alten und neuen Meister nur noch, um sich als Krone der Kunsttradition selbst zu inszenieren? Die Kunsthalle: ein verkapptes Videokunstmuseum? Denn über allen Ausstellungen thront wiederum: Videokunst. Marikke Heinz-Hoek untersucht „Strategien der Legendenbildung“. Drei Themenkreise umfasst die Ausstellung.

Im ersten Raum: „Anaïs Nin in Paris“. Videobewegte Bilder aus einem Lokal, furchtbar unscharf dahingeknipste Ansichten von den üblich verdächtigen Paris-Orten und ein bis zur Unkenntlichkeit misshandeltes Porträt der Schriftstellerin als Video-Loop. Für die Vitrineninstallation wurden Fotos aus dem Internet so bearbeitet, dass sie richtig alt aussehen. Aber wie aus einer sprachbegabten, sexhungrigen Frau die Legende Anaïs Nin wurde, erfahren wir nicht.

Im dritten Heinz-Hoek-Raum tanzt eine Frau im Wald und umarmt einen Baum: ein verfremdetes Zitat aus einem Marylin-Monroe-Film. Eigentlich schwarz-weiß, nun aber mit rotstichigem V-Effekt. Und in der Vitrine: die ORIGINAL-Knöpfe der Monroe – sowie Fotos von Kindern, die in der Mini-Playback-Show die Monroe imitieren. Denn Legenden, so die Heinz-Hoek, „sind immer eine Mischung aus Wahrheit und Lügen“. Echte Fotos, falsche Fotos, falsche Notizen, echte Notizen. Wer weiß das schon. Wer will es schon wissen?

Ein Labsal für Feinde der Videokunst: das Kupferstichkabinett. Staubig, dunkel, historisch. Nirgends ein Bildschirm. Dafür die „Innenansicht des Pantheon“ von Giovanni Battista Piranesi. Riesige Säulen geben den Blick in das Innere frei. Auf einem großen Rundbau thront die mächtige Kuppel. Durch das Loch in der Decke fällt ein geheimnisvoller Lichtstrahl schräg auf den Altar. Piranesi zeigt die Menschen, die den Ort beleben, noch zusätzlich verkleinert. Ein unauffälliger Kniff verstärkt die Monumentalität des Pantheons: Der Blickpunkt ist leicht erhöht und erzeugt beim Betrachter den Eindruck der Erhabenheit.

Das Pantheon in Rom ist ein sakraler Raum. Piranesi ist es gelungen, das Sakrale, das Heilige des Pantheons spürbar zu machen. Sakral, das heißt nach dem Fremdwörterlexikon: „heilig, zu Gottesdienst und Religion gehörig“. Aber was ist das Sakrale eines Ortes? Diese Frage stellt die Kunsthalle in der Ausstellung „ . . . und wo du stehst, da ist geweihtes Land!“ Frank Laukötter, Volontär der Kunsthalle, hat aus dem über 200.000 Werke umfassenden Bestand des Kupferstichkabinetts fünfzig ausgewählt. 25 Künstler sind vertreten.

Auf der Suche nach sakralen Orten gelangt der Ausstellungsbesucher von den Kirchen zu Rembrandts „Landschaft mit den drei Bäumen“ – mit der gewittrigen Atmosphäre und dem verheißungsvoll glühenden Hintergrund. Wollte Rembrandt die drei Bäume als Verweis auf die Kreuzigung Christi verstanden wissen – und somit den Berg als einen heiligen Ort darstellen?

Andere Künstler sind da eindeutiger: Caspar David Friedrich malte ein kleines, in eine Brücke eingeritztes Kreuz, Charles Marie Dulac ließ das Zeichen Christi am Ende einer Allee aus der Dunkelheit herausleuchten.

Jeder Ort kann heilig sein, wenn Menschen ihn dazu machen – also für ihre Andacht nutzen, die mit dem Glauben an einen Gott verbunden sein, aber auch einen Augenblick der Ruhe und Einkehr beschreiben kann. Für Rainer Maria Rilke war auch das Museum ein heiliger Ort. 1902 formulierte er zur Einweihung der Bremer Kunsthalle: „ . . . und hier ist die Kirche, hier wird Gott gegeben, und wo du stehst, da ist geweihtes Land!“ Ein Land – noch völlig unverstellt von Videoinstallationen.

Anna Postels/fis

Marikke Heinz-Hoek – Strategien zur Legendenbildung: bis 31.10; Tempel, Kirchen, Museen und andere sakrale Räume: bis 7.11.; jeweils Mi-So 10 bis 17 Uhr, Di 10 bis 21 Uhr