piwik no script img

Archiv-Artikel

Vorsicht: Leicht entflammbare Erinnerungsspur

Das individuelle, stets leicht paranoide Erinnern: Simone Mangos spielt in ihrer Ausstellung „Gegen Licht“ in der Galerie M + R Fricke mit den Verdachtsmomenten, die sich bei Betrachtung alter Bilder einstellen. Ob eine Straßenlaterne oder Fotos, die Menschen auf einem Bahnsteig zeigen

Eine schwere Betonröhre versperrt den Galerieraum bei M + R Fricke in der Linienstraße. Von der linken, vorderen Zimmerecke strebt sie in die rechte obere Ecke. Bei näherer Begutachtung zeigt sich: Das wuchtige Dinge ist keineswegs eine simple Röhre. Auf halber Strecke entdeckt man in ihr ein offenes Oval, das den Blick auf elektrische Schaltelemente freigibt. Und nun erkennt man auch, dass sie sich nach oben hin verjüngt. Ihr Ende liegt gekappt am Boden, große Glühbirnen samt ihrer gläsernen Umfassung. Es ist eine veritable Straßenlampe, die die australische Künstlerin Simone Mangos in die Galerie hinein verpflanzt hat – in der Form ganz so, wie sie noch immer die Nacht in der Linienstraße erleuchtet. Interessanter-, aber auch denkwürdigerweise fällt einem erst nach der genauen Untersuchung dieser Straßenlaterne die auf Plakatformat vergrößerte Fotografie an der Wand auf, auf die die Betonröhre zustrebt.

Das Bild zeigt eine nur allzu bekannte und allzu leicht dechiffrierbare Szene, über die wirklich Genaues zu sagen dennoch unmöglich ist: Eine dichte Menge reisefertiger Menschen, im Stil der 30er-Jahre in gute Mäntel gekleidet, gut behütet und mit Koffern in den Händen, strebt einem Ziel zu, das da liegen muss, wo der Fotograf steht, der sie im Sucher hat. Denn so wie er sie anvisiert, so schauen auch sie in seine Richtung. Allerdings schauen sie nicht ihn an, ja, man weiß noch nicht einmal, ob ihnen klar ist, dass sie fotografiert werden. Sie sind mit anderem beschäftigt, als darauf zu achten.

Simone Mangos hat diese Fotografie auf einem Berliner Flohmarkt gefunden. Man glaubt darauf die Berliner Juden zu erkennen, wie sie auf den Bahnhof Grunewald geführt wurden, um die Züge nach Auschwitz zu besteigen. Wahrscheinlich hat man mit dieser Annahme Recht. Doch gesichert ist sie nicht. Sicher aber ist, dass wir noch immer auf Fundstücke stoßen, die schnell unseren Verdacht erregen – und im konkreten Fall schauen wir dann noch nicht einmal genau hin, ob Judensterne auf den Jackets und Mänteln zu sehen sind. Die Vergangenheit der Nazi-Zeit ist so mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden, dass Erinnerung leicht aufrufbar und durch alle möglichen Gegenstände, harmlose wie die Straßenlaterne und weniger harmlose wie die Fotografie, sofort entflammbar ist. Ob diese Erinnerung freilich, die sich meist als Verdacht äußert, auch ein Gedenken ist, lässt sich so einfach nicht sagen. Diese Frage bewegt aber „Gegen Licht“, wie Mangos’ Ausstellung heißt.

Seitdem sie 1988 als DAAD-Stipendiatin nach Berlin kam, beschäftigt sich Simone Mangos mit dem historischen Untergrund der Stadt. Schon in ihrer ersten Berliner Arbeit, „Tolling Läuten“, benutzte sie Bauschutt vom Prinz-Albrecht-Gelände neben dem Martin-Gropius-Bau. Hier standen bis 1945 die Zentralen von Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt. Hier wurde gefoltert, misshandelt, geschändet, verschleppt. Vor allem aber plante und organisierte von hier aus eine Heerschar von Schreibtischtätern die Vernichtung der Juden. Hier wird nun, so Gott will, die „Topographie des Terrors“ entstehen. Weiter fortgeschritten ist das Holocaust-Denkmal in den Ministergärten. Mit der kleinen, überraschend ästhetischen Betonstele, die Simone Mangos im zweiten Galerieraum aufgebaut hat, stellt sie neben das individuelle, stets leicht paranoide Erinnern, das die Fotografie und die Straßenlaterne verkörpern, das offizielle Gedenken. Denn die kleine Säule wurde von der Firma produziert, die die Eisenman-Stelen herstellt. Durch die Anlage ihrer Installation gelingt Simone Mangos hier eine provozierende Gegenüberstellung. Denn nicht das offizielle Gedenken, sondern das persönliche alltägliche Erinnern, vielleicht besser Erschrecken, wird bei ihr monumental. BRIGITTE WERNEBURG

Bis 30. Oktober, Di.–Fr. 14–19,Sa. 12–16 Uhr, Linienstraße 109