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Archiv-Artikel

Die EU ist gegen Berlusconi nicht machtlos

Kommissar Vitorino stellt in Brüssel Möglichkeiten zur Umsetzung von Artikel 7 des Nizza-Vertrags vor. Dieser erleichtert Sanktionen gegen einen Mitgliedstaat der EU, der gegen die demokratischen Grundsätze der Union verstößt

BRÜSSEL taz ■ Angesichts der Arroganz, die derzeit die polnische Regierung bei den Reformverhandlungen zum EU-Vertrag an den Tag legt, wird eine Frage immer wieder aufgeworfen: Der Beitritt ist ja nun beschlossen. Aber wie kann man ein Land, das mit der Gemeinschaft nichts im Sinn hat, wieder loswerden?

Da sich diese Frage auch bei anderen neuen Mitgliedern bald stellen könnte und für die Altfälle Österreich und Italien noch immer nicht geklärt ist, wurde die Mitteilung der Kommission zum Artikel 7 des Nizza-Vertrages gestern mit Spannung erwartet. Hinter der dürren Bezeichnung versteckt sich zwar nicht ein Rezept für den Rausschmiss. Der ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen. Immerhin klärt Artikel 7 aber die Bedingungen, unter denen ein Mitgliedsland sein Stimmrecht im Rat verliert. Diese Möglichkeit war im März 1999 erstmals ernsthaft diskutiert worden. Damals hatte Jörg Haider bei den Wahlen in Österreich Spitzenwerte erzielt. Trotz offener Drohungen seiner EU-Kollegen hatte Wolfgang Schüssel mit Haiders FPÖ eine Regierungskoalition vereinbart. Beeindruckt von dem diplomatischen Desaster bei der Österreich-Krise und der eigenen Hilflosigkeit wenig später bei Berlusconis Wahlsieg in Italien hatten die Regierungschefs im Dezember 2000 beim Gipfel in Nizza den Artikel 7 um ein „Frühwarnsystem“ erweitert. Schon der Amsterdamer Vertrag sieht vor, das Stimmrecht eines Landes auszusetzen, wenn „eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der gemeinschaftlichen Grundsätze“ festgestellt wurde. Diese Grundsätze sind Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

Seit In-Kraft-Treten des Nizza-Vertrags am 1. Februar gibt es nun ein vorgeschaltetes Warnsystem. Ähnlich wie beim Euro-Stabilitätspakt kann der Rat Empfehlungen beschließen, wie das EU-Mitglied sein Demokratiedefizit abbauen soll. Vier Fünftel der Staaten müssen sich dafür zusammenfinden, das Parlament muss zustimmen.

Da auch die Kommission diesen Prozess in Gang setzen kann, warteten gestern alle gespannt darauf, wie das in der Praxis aussehen soll. Doch der zuständige Beamte aus der Abteilung von Innenkommissar Antonio Vitorino machte klar, dass die Kommission offenen Streit vermeiden will. Er werde sich weder zu der Frage äußern, welche Sanktionen als Vorstufe zum Verlust des Stimmrechts denkbar wären. Er werde auch nicht auf die Frage Bezug nehmen, welchen Einfluss die derzeit diskutierte EU-Verfassung auf den Prozess haben könne. Und er werde keinerlei Beispiele für möglicherweise betroffene Staaten nennen.

Die Kommission setze ganz auf Prävention, ließ Antonio Vitorino den Journalisten mitteilen. Das Frühwarnsystem solle ja gerade dafür sorgen, dass es zu einer Verletzung der gemeinschaftlichen Werte nicht komme. Deshalb lasse die Kommission jedes Jahr von einer unabhängigen Expertengruppe einen Bericht über die Lage der Demokratie in allen Mitgliedsländern erstellen. Ein Detail ließ sich der Fachbeamte aber doch entlocken: Da im neuen Verfassungsentwurf die Grundwerte der Union um „Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung“ erweitert worden seien, werde auch der Anwendungsbereich von Artikel 7 entsprechend größer.

DANIELA WEINGÄRTNER