: Seltene Gelegenheit zur Kritik
Soziales Köln? Auf Einladung der taz diskutieren Podiumsgäste im Kölner Stadtgarten die Frage nach den Machtverhältnissen in der Stadt, den Bildungsnotstand und Wege der Einflussnahme
von Sebastian Sedlmayr
Den Ball von Martin Stankowski nahm Brigitte Erdweg gerne auf: Was sie machen würde, wenn sie nach der Kommunalwahl im Kölner Stadtrat das Sagen hätte? „Erstens die Ehrenbürgerschaft für die Edelweißpiraten aussprechen, zweitens verfügen, dass es keine Streichungen beim Besuchsprogramm für Zwangsarbeiter gibt und drittens eine ‚Sonderkommission Esch-Fonds‘ einrichten, um zu untersuchen, welche städtischen Gelder in die Kölnarena geflossen sind und fließen“, sagte die ehemalige Stadträtin, die sich inzwischen beim Verein Frauen gegen Erwerbslosigkeit engagiert. Dafür erntete sie den Applaus des Publikums im gut gefüllten Saal bei der Veranstaltung der taz zur NRW-Kommunalwahl.
Schnell wurde an diesem Mittwoch Abend im Stadtgarten klar, dass das Thema „Wie sozial ist Köln, wie soll es sein?“ breit gefasst werden muss. Die Frage nach den Einnahmen und Ausgaben im Stadthaushalt gehört dazu, die Frage nach den Machtverhältnissen in der Stadt und nach den Möglichkeiten, diese Verhältnisse zu verändern. Dass dies ohne ein kritische Öffentlichkeit nur schwer möglich sei, monierte der Kölner DGB-Vorsitzende Wolfgang Uellenberg-van Dawen. Da die Möglichkeiten zur öffentlichen politischen Debatte in Köln rar sind, sprudelten vielfältige Vorschläge. Moderator Stankowski lenkte das mit sechs TeilnehmerInnen besetzte Podium souverän durch den Abend.
Allseits Anklang fand auch die vierte Forderung Erdwegs, einen Bürgerhaushalt nach dem Vorbild des brasilianischen Porto Alegre aufzustellen. Denn, da waren Podium und Publikum einig, mehr Beteiligung an politischen Entscheidungen ist ein unverzichtbares Mittel, um sozialem und politischem Frust entgegenzuwirken.
Ganz konkret wurde das Problem ungleicher Verteilung durch die Darstellung der Rubicon-Leiterin Karola Berlage: Das Kölner Beratungszentrum für Lesben und Schwule müsse Jahr für Jahr um eine Verlängerung der städtischen Fördermittel fürchten; das ständige Hoffen und Bangen erschwere effektives Arbeiten.
Auf eine wachsende Minderheit, die in Rat und Verwaltung noch immer weitgehend ausgeblendet werde, wies C. Hayati Önel hin: „In wenigen Jahren wird ein Drittel der unter 15-Jährigen einen Migrationshintergrund haben.“ Der Vorsitzende des Türkisch-Deutschen Unternehmerverbands Köln mahnte: „Wir müssen uns mehr um Migrantenkinder kümmern und sie ausbilden.“ Es reiche nicht, wenn die Parteien Leute mit fremd klingenden Namen auf die Kandidatenlisten nähmen. Der gebürtige Türke geht mit gutem Beispiel voran: Einer der Azubis in seinem Druckereibetrieb sei Grieche. „Ich mache da keinen Unterschied“, so Önel.
Bildung war auch einer der zentralen Punkte, die Gewerkschaftschef Uellenberg anführte: „Unternehmer und Schulen müssen mehr voneinander wissen, damit die Bedürfnisse von Firmen, Azubis und Schule koordiniert werden können.“ Er kritisierte außerdem deutlich die Arbeitsmarktreform des Bundes, speziell das so genannte Hartz IV-Gesetz: „Ich bin gegen Arbeitszwang. Er steht in einer reaktionären Tradition, die im 20. Jahrhundert sehr unschöne Blüten getrieben hat“, sagte er in Anspielung auf die Zwangsarbeit in der Nazi-Zeit.
Dass die allererste Bedingung für ein soziales Miteinander der gegenseitige Respekt ist, stellte Kölns erster Alternativer Ehrenbürger Franz Meurer dar. Der Pfarrer aus Höhenberg/Vingst mahnte: „Der Rat ist eine Serviceagentur. Die Ratsleute müssen sich für die Bevölkerung einsetzen.“ Erst dann verdienten sie auch Respekt.
Respekt scheint ein knappes Gut zu sein in Köln, wo trotz der Anhörung von 200 Bürgern in Kalk gegen deren Willen das riesige Einkaufszentrum auf dem ehemaligen CFK-Gelände gebaut wird. Ein Kalker aus dem Publikum beschwerte sich darüber bitter. Als positive Gegenbeispiele, die mehr Lust auf Beteiligung machen, wurde der Bürgerplan West für Braunsfeld und Müngersdorf sowie die Rahmenplanung in Mülheim genannt.
Nachdem viele Defizite angesprochen worden waren, die von einem sozialen Köln trennen, lenkte Stankowski noch den Blick auf die Einflussmöglichkeiten der weniger Mächtigen: „Bürger müssen zu Experten werden“, griff taz-Redakteurin Susanne Gannott die Idee vom Anfang auf, einen Bürgerhaushalt zu etablieren. Daneben nannte sie direktdemokratische Instrumente als Hebel, deren Wirkungskraft erhöht werden müsse.
Einen besonders interessanten Vergleich zog in der Schlussrunde Rubicon-Leiterin Berlage: Der Anteil von Arbeitslosen und von Lesben und Schwulen liege in etwa gleich hoch bei rund zehn Prozent. Auch Homosexuelle hätten lange das Gefühl gehabt, ein persönliches Defizit sei für ihre Diskriminierung verantwortlich. Heute könnten Lesben und Schwule so selbstbewusst auftreten, weil sie sich „in ihrer verletzten Würde gegenseitig aufrichten“. Der sichtbare Unterschied: „Wir haben einen CSD.“