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Archiv-Artikel

Flunkernde Festung

Ambivalente Faszination in der Schwankhalle: Lilo Wanders verkörpert Evelyn Künneke in „Die Mythomanin“

Darstellerisch bekommt sie das schon sehr eindrucksvoll hin. Man glaubt ihr, dass da eine alte Frau auf der Bühne steht: mit dicken Polstern ausstaffiert, im schwarzen Hosenanzug. Mit dem barschen Ton und der Berliner Schnauze, die man von Evelyn Künneke kennt. Und mit dem abrupten Wechsel von der übelgelaunten Miene zum Lächeln in den Scheinwerfer, das so erschreckend künstlich wirkt.

Am eindrucksvollsten sind dabei die langsamen und schwerfälligen Bewegungen: Einmal versucht sie wohl zehnmal hintereinander vom Sofa aufzustehen, während sie ein Lied singt, und fällt immer wieder erschöpft in ihr Sitzkissen zurück. Das ist komisch, aber auch traurig, und wenn sie am Ende sagt, sie habe genug vom Leben, hat man das bereits begriffen.

Vor zwanzig Jahren wurde Lilo Wanders von Evelyn Künneke bei einem Interviewversuch böse zusammengestaucht, und daraus entwickelte sich eine enge Freundschaft. Mit solch einer Situation, in der die weibliche Festung einen unsichtbaren Fragensteller beschimpft und dann mit einer haarsträubenden Mischung aus Dichtung und Wahrheit zudeckt, beginnt der Abend: Superwoman Evelyn erzählt, dass sie ausgebildete Chirurgin ist, mit vierzehn Europameisterin im Brustschwimmen war, als Playmate im Playboy erschien, in Filmen die Beine von Marika Rökk doubelte und 2001 an Lungenkrebs starb.

Wenn sie so ihre Biographie zurechtflunkert, ist Wanders als Künneke sehr witzig – aber der Humor ist immer gallig. Und Künnekes Chansons und Couplets wurden von der Wanders zwar so stilgetreu wie möglich vorgetragen, dennoch merkte man auch hier die Mühe, die Wanders ihre Aufgabe kostet.

Denn Lilo Wanders parodiert die Künneke nicht, sie versucht statt dessen eine Charakterstudie der sehr komplexen Persönlichkeit – und in den besten Momenten spürt man die Ambivalenz ihrer Faszination von dieser Frau, die ja auch ein Rollenmodell für Wanders selber ist.

Dies macht sie klar, wenn sie sich zuletzt aus ihrem Künnekekostüm schält und man sieht, wie sehr Wanders der Künneke im Grunde ähnelt. Die Perücke kann sie gleich aufbehalten, denn Lilo Wanders ist eine Kunstfigur: Da steckt ein Mann drunter, der so schlau ist, die Perücke am Schluss nicht abzunehmen, so dass die Travestie nie aufhört.

Das macht das Stück zu einem interessanten Spiegelkabinett, aber zum Ende hin wurde es dann doch ein wenig lang. Mussten als Zugaben auch noch die Greatest Hits der Künneke vorgetragen werden? Da hätte man dann auch zeigen müssen, warum im Mief der 1950er Jahre ein Lied wie „Da sagte die Sphinx, rück’ ihn etwas nach links“ einen Skandal verursachte. Heutzutage ist es fast schon kryptisch, dass Künneke da den Mikroständer bei jeder Strophe etwas weiter rückt und dann sagt: „Jetzt steht er richtig“!

Wilfried Hippen

Weitere Vorstellungen: Sa & So um 20.00 Uhr in der Schwankhalle