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Archiv-Artikel

Letzter Bahnhof vor der Pleite

Das Geld wird knapp, aber der Börsengang ist abgesagt: Das ist gut, denn die Bahn wäre auf Kosten der Steuerzahler zur Aktie geworden

BERLIN taz ■ Der Börsengang der Deutschen Bahn AG ist erst einmal in weite Ferne gerückt – und das ist gut so. Denn allenfalls langfristige Milliardenzusagen des Staats könnten Investoren dazu veranlassen, ihr Geld in den maroden Konzern zu stecken. Das aber würde sehr teuer für die Steuerzahler – ohne dass die Bürger deshalb mit einer besseren Bahn rechnen könnten.

Auch wenn Noch-DB-Chef Mehdorn anderes suggeriert, schreibt die Bahn seit 2001 rote Zahlen. Zwar konnte der Betriebsverlust in diesem Sommer im Vergleich zum katastrophalen Vorjahr verringert werden. Doch die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ist schlecht. Nachdem die DB AG 1994 schuldenfrei in die Zukunft gestartet war, steht sie nun wieder mit etwa 25 Milliarden Euro in der Kreide. Kreditrückzahlungen und schrumpfende Bundeszuschüsse verengen den Handlungsspielraum des DB-Managements ständig. Es droht das Ende der Liquidität. Mit dem Börsengang wollte sich Mehdorn frisches Kapital verschaffen.

Eine Erfolgsgeschichte ist die Entwicklung der Bahn seit der formellen DB-Privatisierung im Jahr 1994 wahrlich nicht. Der Güterverkehr auf der Schiene hat weitere Marktanteile verloren und dümpelt inzwischen unter 15 Prozent. Der Anteil am Personenverkehr hat sich um ein halbes Prozent verbessert. Doch bei Zuschüssen aus öffentlichen Kassen von etwa 11 Milliarden Euro pro Jahr ist das doch sehr mager. Zwar beziehen sich diese Zahlen auf den gesamten Schienenverkehr. Weil aber die DB im Personenfernverkehr 99,5 Prozent und im Nah- und Güterverkehr 92 Prozent abwickelt, ist sie faktisch noch weitgehend ein Monopolist.

Fast alle Experten, die der Bundestag im März zu einer Anhörung geladen hatte, waren sich darin einig, dass eine Herauslösung des Schienennetzes aus dem DB-Konzern volkswirtschaftlich notwendig ist, um Wettbewerbern der DB und damit dem Schienenverkehr insgesamt eine reale Chance zu geben. Diesen Vorschlag hatte auch schon Exverkehrsminister Kurt Bodewig gemacht. Und Mehdorn hat seither durch firmeninterne Umorganisation vorgesorgt: Planung, Bau und Instandhaltung wurden aus der DB-Netz ausgegliedert, die jetzt nur noch für die Trassenvermietung zuständig ist. Eine Herauslösen des Schienennetzes aus der DB ist damit wesentlich erschwert, weil die staatlichen Zuschüsse jetzt nicht mehr in der DB Netz verwaltet werden. Auch an anderer Stelle versucht Mehdorn, durch Umstrukturierung die reale Verwendung von Staatshilfen zu verschleiern. Aus gutem Grund: Müsste der Fernverkehr seine tatsächlichen Kosten erwirtschaften, wäre er sofort pleite. Ein Ticket für eine ICE-Reise würde dann fünf- bis zehnmal so teuer sein wie heute. Der Nahverkehr dagegen wird durch die so genannten Regionalisierungsmittel finanziert, die der Bund im Zuge der Bahnreform den Ländern zugestanden hatte und die diese bis heute zum größten Teil an die DB weiterreichen. Um hier Transparenz gar nicht erst aufkommen zu lassen, legte der Bahnchef im Jahr 2000 die vorher getrennten Bereiche Fern- und Nahverkehr wieder zusammen.

Absehbar ist allerdings, dass der DB-Melkkuh Nahverkehr mittelfristig von EU-Seite ein erheblicher Teil des Futters entzogen wird – was wohl auch jedem potenziellen Investor klar wäre. Außerdem dürften bei einem Börsengang inklusive Schienennetz nur 49 Prozent des Unternehmens privatisiert werden, weil die staatliche Hoheit über die Schienen festgeschrieben ist. Insofern hätten die Geldgeber keinen wirklichen Einfluss auf die Unternehmenspolitik und könnten allenfalls durch eine opulente und langfristig garantierte Mitgift aus dem Staatssäckel zum Einsteigen bewegt werden. Der Exaufsichtsratschef Dieter Vogel hat bereits im Jahr 2000 Vorstandschef Mehdorn in einem Brief mitgeteilt, wie absurd dessen Börsenpläne sind: Würde das Unternehmen tatsächlich profitabel, müsste nämlich der Finanzminister laut Gesetz seine Zuschüsse zum Netz zurückfordern. Welcher Investor würde Aktien kaufen, bei denen ihm bestenfalls eine winzige Rendite bleibt?

Der vorläufige Abbruch der Diskussion über einen DB-Börsengang eröffnet nun endlich wieder die Chance, das verkehrspolitisch entscheidende Problem im Bahnverkehr anzugehen: die Trennung von Netz und Betrieb.

ANNETTE JENSEN