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Archiv-Artikel

Jenseits von Bollywood

Große Gefühle, öffentliche Diskussion: Südostasiatische Filme bei den Lesbisch Schwulen Filmtagen

von Doro Wiese

Bevor Bollywood die westlichen Kinoleinwände eroberte, waren indische Filme selten in Deutschland zu sehen. Mittlerweile hat die weltweit größte Filmindustrie, die in Asien, Afrika und Teilen der Karibik schon immer populär war, sich hierzulande einen Platz in Programmkino-Reihen gesichert. Was allerdings das Off-Kino aus Südostasien produziert, ist nahezu unbekannt.

Grund genug, den sri-lankischen und die drei indischen Filme anzuschauen, die an diesem Wochenende bei den Lesbisch Schwulen Filmtagen gezeigt werden. Außer der Seltenheit dieses Schauvergnügens sind die Filme auch deshalb interessant, weil sie im eigenen Land einen besonderen Stellenwert haben. So wird Mango Soufflé als der erste indische Schwulenfilm bezeichnet, hat Flying With One Wing eine öffentliche Diskussion über Gender-Rollen in Sri Lanka ausgelöst und wird The Pink Mirror als der erste schwule Film in Hindi angeführt.

The Pink Mirror von Gulabi Aaina ist derjenige Film, der sich formal am stärksten an die national vorherrschende Inszenierung Bollywoods anlehnt. Was dieses Genre auszeichnet – große Gefühle, Stars, spektakuläre Showeinlagen – wird hier in eine Tuntenwelt übersetzt. Vorhersehbare Dramen sind dementsprechend die Benutzung der falschen Gesichtscreme, Eifersuchtsgefühle und Konkurrenzgeschichten, denn selbstverständlich wollen sowohl Bibbo als auch Shabbo den schönsten Mann in ihrem Bett und in ihren Showeinlagen am meisten bewundert werden.

Dass der Film jenseits von großartigen Tanz- und Gesangseinlagen zudem das schwierige Thema HIV anschneidet, ist ihm hoch anzurechnen. Gegenüber dieser tollen Inszenierung wirkt Mango Soufflé geradezu blass, insbesondere da der Film seine Textgrundlage, ein Theaterstück, schauspielerisch hölzern umsetzt, wenngleich er mit schönen Aufnahmen aufwarten kann.

Empfehlenswert ist der Dokumentarfilm Miss Manju Truck Driver von Sherna Dastur. Hier wird in aller Nüchternheit das Porträt einer LastwagenfahrerIn entfaltet, die sich selbst als „halb Shiva, halb Shakti“ (Mann/Frau) bezeichnet. Vorsichtig umreißt die Kamera die Räume, die Miss Manju betritt – die Straßen, Raststätten und Haltestellen, die ihr/sein Leben bestimmen –, lässt sie/ihn dort agieren und bisweilen den Bezug zur Kamera aufnehmen. Der langsame Rhythmus des Films und das Fehlen von Erklärungen einer allwissenden Off-Voice-Stimme zwingen die Zuschauenden dazu, sich auf Begegnung und Kennenlernen einzulassen. Raum besteht für die Entwicklung einer eigenen Beziehung zum Gezeigten.

Ähnlich Miss Manju Truck Driver verfolgt Flying With One Wing ein Transgender-Thema. Auch hier steht eine Person im Mittelpunkt der Erzählung, die sich nicht in die Kategorien „Frau“ oder „Mann“ einordnen lässt. Manju, wie die Hauptperson ebenfalls heißt, arbeitet als MechanikerIn in einer Autowerkstatt, als er/sie eines Tages einen Unfall hat und von einem Freund in eine nahe gelegene Klinik gebracht wird. Der untersuchende Arzt entdeckt das Geheimnis von Manjus weiblicher Anatomie. Er – ein Frauenarzt, der Abtreibungen vornimmt – kann sich aufgrund seiner Frauenfeindlichkeit nicht auf Frauen einlassen. Manju dagegen erscheint ihm wegen fehlender weiblicher Inszenierung ein geziemendes Objekt des Begehrens. So entfaltet sich eine Erpressungsgeschichte, in deren Verlauf nicht nur die Gewaltförmigkeit einer Gesellschaft nachgezeichnet wird, die jeder Überschreitung von zugewiesenem Geschlecht handgreiflich unterbindet, sondern zudem Frauen als Bürgerinnen zweiter Klasse behandelt. Insbesondere dieser Aspekt des Films wurde in sri-lankischen Zeitungsberichten immer wieder unterstrichen und hat dort zu reger Parteinahme für den Film, der zeitweise zensiert werden sollte, gesorgt.

Mango Soufflé, Fr, 22.30 Uhr, Miss Manju Truck Driver + The Pink Mirror, Sa, 17.30 Uhr, Flying With One Wing, Sonntag 17.30 Uhr, b-movie