: Der Integrations-Pädagoge
Günter Piening, der Berliner Beauftragte für Integrations- und Migrationsfragen, ist nach vier Monaten im Amt kaum jemandem aufgefallen. Statt medienwirksamer Auftritte gibt es moderierte Gruppenarbeit. Macht er dennoch alles falsch?
von JEANNETTE GODDAR
Er hat mit Arabern, Vietnamesen und Simbabwern gesprochen, mit Quartiersmanagern diskutiert und auch den Klagen ausländischer Konzernrepräsentanten gelauscht. Glaubt man seinen Mitarbeitern, läuft Günter Piening nach dreieinhalb Monaten im Amt zwar noch mit neugierigem, aber zuweilen auch gehetztem Blick durch Kreuzberg, Neukölln, Wedding, durch Lichtenberg, Pankow und Marzahn.
Allein: Kaum einer merkt es. Weder zu fragwürdigen Abschiebungen noch zur Sprachförderung melde sich der neue Integrationsbeauftragte des Senats zu Wort, klagt der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann. „Ich vermisse seine Stimme.“ Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher, legt nach und fordert Piening zu „mehr Mut“ auf: „Integration ist eins der drängendsten Probleme. Da kann man vom zuständigen Senatsbeauftragten erwarten, dass er sich äußert.“ Ausgerechnet Pienings Parteikollegen kritisieren ihn als Erste in der Öffentlichkeit. Marieluise Beck, Grünen-Ausländerbeauftragte des Bundes, lud zum Pressegespräch in Sachen Kopftuch am vergangenen Mittwoch neben Piening gleich auch noch dessen CDU-Vorgängerin Barbara John ein. Ein deutliches Zeichen?
Dass er es schwer haben würde mit der eigenen Integration in Berlin, war abzusehen. Nach monatelangen Querelen um die Nachfolge Barbara Johns hatte die PDS-Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner aus 43 Bewerbungen die des 52-Jährigen ausgewählt. „Ausgerechnet!“, lästerten viele. Einen, der weniger von seiner künftigen Aufgabe verstünde als der Ausländerbeauftragte von Sachsen-Anhalt, eines Bundeslandes mit einer Migrantenquote von unter zwei Prozent, habe es ja kaum gegeben.
Tatsächlich hält sich Günter Piening auch nach vier Monaten im Amt mit medienwirksamen Auftritten, klaren Bekenntnissen und Tageskommentaren sehr zurück. Ein paar ermahnende Worte zum Kopftuchstreit („Ich würde mir eine nachdenklichere Stimmung wünschen“) sowie die Aufforderung, lange hier lebenden Flüchtlingen eine Perspektive zu ermöglichen – mehr war nicht zu hören in der so genannten Mehrheitsgesellschaft, in die er laut Jobbeschreibung hineinwirken soll. Bis heute kennt in Berlin kaum jemand den Namen Piening.
Das liegt vielleicht daran, dass sich der studierte Soziologe eher als Moderator denn als Akteur sieht. „Die Zeiten, in denen man für Ausländer die Stimme erheben muss, sind vorbei“, sagt er, „in Berlin leben 440.000 Migranten. Die können für sich selber sprechen – wenn man sie lässt.“
Erfolge? Trotz allen Hickhacks ist es Piening gelungen, die Wahl für den ersten Berliner Landesbeirat für Integration und Migration zu moderieren. „Ein echter Erfolg“, meint denn auch Marion Seelig, innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion. Bleibt, aus dem Beirat auch ein tatkräftiges Gremium zu machen. Wer genau hinhört, merkt, dass es dem Neuberliner hier und da gelingt, eingefahrenen Diskursen einen neuen Dreh zu geben: So tauchten kürzlich etwa zweihundert Gäste in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen auf, um an der ersten Diskussion der Debattenserie „Under Construction – Einwanderungsstadt Berlin“ teilzunehmen. Das Thema war heiß – „Moschee-Neubauten“ –, und Zuhörende konnten den Eindruck gewinnen, hier habe jemand eine gute Idee gehabt.
Was in einer der üblichen Streitrunden hätte enden können, hatte Piening im Vorfeld sorgfältig moderiert. Je nach Funktion (Anwohner, Träger, Verwaltung oder Sonstige) bekam jeder der Anwesenden ein farbiges Kärtchen mit einer Tischnummer angeheftet. Sorgfältig quotiert und gründlich angeleitet, saßen die Diskutanten eine Stunde lang in Zehnergrüppchen um runde Tische und mussten Fragen erarbeiten, statt vorschnelle Antworten zu geben.
„Ein Experiment“, sagt Günter Piening. Eines, mit dem es bestenfalls gelinge, Menschen an einen Tisch zu bringen und sie dort selbst an den Lösungen ihrer Probleme arbeiten zu lassen. „Ich wünsche mir, dass es im Dialog gelingt, möglichst viele Sichtweisen zu bündeln und an die politisch Verantwortlichen heranzutragen“, sagt er in seiner verschwiemelten Soziologenart.
Von der ersten experimentellen Runde bleibt denn auch der Eindruck, dass Pienings Stil ein anderer ist als der, den seine zwar durchsetzungsfähige, von einigen Migranten jedoch als paternalistisch empfundende Vorgängerin John praktizierte.
Bleibt die Frage, was Piening eigentlich will. Das fragt sich nicht nur die Mehrheitsgesellschaft. „Der will was! Ich glaube der ist gut!“, sagt ein Kurde, der nicht genannt werden will. „Aber er muss aus der Deckung kommen!“ Hakan Tas, Vertreter der türkischen Schwulen und Lesben, fordert: „Wir wissen immer noch nicht, ob der Mann zu Recht kritisiert wurde. Er muss anfangen, Farbe zu bekennen.“
Eines scheint aber unzweifelhaft: Den Dialog mit islamistischen Gruppierungen will Piening weniger tolerant gestalten als Barbara John. Der umstrittenen Islamischen Föderation und anderen Moscheevereinen hielt er unverhohlen entgegen, nicht unschuldig zu sein an der Skepsis, die ihnen entgegenschlägt: „Sie sind in der Pflicht, die Bitte um Transparenz in ihren Häusern ernster zu nehmen, als das zurzeit der Fall ist.“
Man sei vorsichtig optimistisch, dass es künftig weniger gemeinsame Projekte mit Religiösen gebe, lobt auch Kenan Kolat vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB). Nichttürkische Vereine hingegen hegen die Hoffnung, endlich wahrgenommen zu werden. „Ich erwarte einen stärkeren Einsatz für Flüchtlinge“, sagt der Iraner Hamid Nowzari. Thuy Nonnemann vom Vietnam-Haus stellte immerhin schon fest, dass Piening sich für die Belange vietnamesischer Kinder interessiere: „Das gab es noch nie.“ Andere, die nicht genannt werden wollen, winken ab, sagen, Piening sei arrogant und habe nie Zeit.
Was fehlt, ist der Masterplan, den Piening beim Amtsantritt etwas großspurig ankündigte. Berlin brauche ein „mittelfristiges Konzept, wie mit Zuwanderung und Integration umzugehen“ sei, sagt er. Er will weg von der ewigen Leidensdebatte der gescheiterten multikulturellen Gesellschaft, hin zum „Diversity Management“. „Berlin ist eine Einwanderungsstadt. Das muss positiv besetzt werden“, sagt Piening, „wir müssen weg von den ewig gleichen Negativdiskursen.“