: „Wir tun alles für eine Gänsehaut“
Es gibt Leute, die scheinen Katastrophen anzuziehen: Ein Gespräch mit Stuart Murdoch, dem Mastermind der schottischen Band Belle & Sebastian, über beschissenes Aussehen, die üblen Typen von der Presse und die späte Entdeckung der Beatles
Interview ARNO FRANK
taz: Schön, Sie mal persönlich kennen zu lernen.
Stuart Murdoch: Warten wir lieber mal ab.
Sie galten als Kopf der Band, jahrelang geradezu als Phantom. Zu Interviews mit Belle & Sebastian erschienen Schafe. Oder irgendein Musikant aus der zweiten Reihe …
Das mit den Schafen ist eine Legende …
… die aber ganz gut zu Künstlern passt, die konsequent Kameras und Mikrofone scheuen. War diese Zurückhaltung Kalkül?
Nein. Darf ich das kurz erklären?
Deshalb sind wir hier.
Unsere erste Platte, „Tigermilk“, ist das Ergebnis eines Schulprojekts gewesen, das ich organisieren sollte. Teilweise habe ich einfach Leute auf der Straße angesprochen, die irgendwie wie Musiker aussahen. Es erschien dann 1995 als Musikkassette, und dabei wollten wir es eigentlich belassen. Als es dann plötzlich losging und alle englischen Musikmagazine plötzlich mit uns sprechen wollten, da mochte ich mich nicht als großer Zampano in den Vordergrund spielen …
Verweigerung kann ja auch ganz kokett und sexy sein.
Stimmt, aber das war nicht unsere Absicht. Wirklich nicht. Wir waren nur ein zusammengewürfelter, ziemlich langweiliger Haufen, mehr ein Kollektiv als eine Band.
Und heute?
Wir sind eine Band, und ich bin ihr Chef.
Ist die neue Redseligkeit vielleicht auch der neuen Plattenfirma geschuldet?
Unsere alte Firma Jeepster hat Pleite gemacht, was uns, ehrlich gesagt, ziemlich überraschte. Sie hatten einfach kein Geld mehr. Wenn ich jetzt Interviews gebe, dann deshalb, weil ich eine gewisse Verantwortung für die Gruppe habe. Aber es stimmt, ich mag diese klassische Interview-Situation nicht, wo du in irgendeinem Hotelzimmer immer irgendeinem Typen gegenübersitzt. Deswegen bemüht sich die Plattenfirma auch ganz reizend, jedes Interview anderswo stattfinden zu lassen.
Gab es viele Angebote anderer Plattenfirmen?
Oh nein, Rough Trade waren die Einzigen.
Komisch, oder?
Weiß nicht. Vielleicht.
Sie haben die DVD „Fans Only“ auf den Markt gebracht, als Abschied von Jeepster gewissenmaßen. Was ist davon zu erwarten?
Wir dachten, dass unsere Videos pur einfach zu langweilig sind. Das ist alles sehr low budget, sehr langsam. Wenn du sie dir in einem Stück anschauen möchtest, schläft du einfach ein. Ich dachte nicht, dass wir damit durchkommen. Also konstruierten wir eine kleine Rahmenhandlung. Jetzt ist das Ganze doch sehr nett geworden.
Im neuen Vertrag steht aber nicht, dass Sie nun auch Interviews geben müssen?
Quatsch, nein, wir sind einfach reifer. Früher fehlte uns einfach das Selbstbewusstsein. Ich hatte vorher gerade mal im Kirchenchor gesungen – und hatte schon Angst, wenn ein Solo verlangt war. Außerdem sahen wir für eine Popband ziemlich beschissen aus.
Sie tragen gerade Schlaghosen, Birkenstocksandalen und Socken …
Soll das heißen, wir sehen immer noch beschissen aus?
Na ja, zumindest merkwürdig. Und mit der Co-Songschreiberin Isobell Campbell ist ja eines der attraktiveren Mitglieder ausgeschieden. Hat das nicht die Chemie innerhalb der Band durcheinander gebracht?
Nicht wirklich, es änderte sich zwar die Statik innerhalb der Gruppe. Aber das ist okay. Und es ist nicht so, dass ich keinen Kontakt mehr zu Isobel hätte – sie hat keinen zu mir …
Sie rollen mit den Augen.
Herrgott, wir haben uns fast vier Jahre lang bemüht, dass sie sich gut fühlt. Wir waren wie befreit, als sie dann endlich ging. Sie fragen nach dem Brain-Drain? Isobel hat jeden Tag unsere Gehirne blockiert!
Belle & Sebastian haben mit verhaltenem Folk den Begriff „silence is the new loud“ geprägt“…
Nein, nein, nein. Nicht wir haben diesen Begriff geprägt, sondern die englische Musikpresse. Üble Typen.
Das neue Album, „Dear Catastrophe Waitress“, ist ja nun ein poppiges, fast fröhliches Album.
Was soll das heißen?
Dass es nicht ganz so melancholisch geraten ist wie frühere Platten.
Aha, na gut. Kürzlich meinte ein Journalist, wir hätten da wohl eine Comedy-Platte abgeliefert. Eine Unverschämtheit! Nur, weil da ein paar drollige elektronische Geräusche drauf sind? Wir tun alles für eine gute Gänsehaut.
Produziert wurde das Album von dem notorischen Trevor Horn. Der Mann hatte mit „Video Killed The Radio Star“ einen Hit, sang auf dem Album „Drama“ der Progrocker von Yes, produzierte Frankie Goes To Hollywood und zuletzt sogar den Pop der Russinnen von t.A.T.u. – wie kommt’s?
Weil Trevor uns gefragt hat. Wir wären gar nicht auf die Idee gekommen, ihn zu kontaktieren. Aber er hatte Lust, und wir sagten: Okay, komm vorbei, dann werden wir sehen. Ich wusste vorher gar nicht, was so ein Produzent eigentlich macht. Früher haben wir unsere Platten alleine hinbekommen, nur mit unserem Ton-Ingenieur …
Was ja auch den Reiz der frühen Platten ausgemacht hat.
Wir machen aber keine frühen Platten mehr, sondern späte. Oder mittlere. Es hat uns jedenfalls sehr geholfen, dass da jemand ist, der die Sache schneller und besser hinbekommt. Trevor hat es wohl überrascht, dass wir schon sehr präzise Vorstellungen von den Arrangements mit ins Studio brachten. Er musste eigentlich nur noch die Songs aussuchen.
Und ihnen mit opulenten Bläser und Streichern auf die Sprünge helfen?
Warum nicht?
Vielleicht deshalb, weil Platten wie „If You’re Feeling Sinister“ so einen rohen Charme …
Nein, nein! Sie hören sich an wie diese Leute von der englischen Musikpresse! Die wollen dich formen, sie wissen ganz genau, wie du zu klingen hast. Nicht nur, dass sie dich falsch zitieren oder dir Sachen in den Mund legen, die du nie gesagt hast. Das geht sogar so weit, dass sie dir Vorschriften machen wollen. Es zehrt. Wir wissen eigentlich ganz genau, wo wir stehen und wo wir hinwollen.
Sie wirken eher schmächtig. Stimmt es, dass Sie einmal geboxt haben?
Ja, ich habe jahrelang trainiert. Das war prima und gab mir Selbstvertrauen. Aber dann kam’s zum ersten Kampf. Und ich kann Ihnen sagen: Der Kampf war sehr, sehr kurz.
Warum?
Weil mein Gegner sehr, sehr lange Arme hatte.
Gibt es eigentlich diese „Katastrophenkellnerin“ wirklich?
Sheena heißt sie und arbeitet tatsächlich in einem Café in Glasgow, in dem ich oft frühstücken gehe. Da war sie mir schon früher aufgefallen, weil sie so … fotogen ist. Sie war mit ihrem Freund da, weshalb ich mich auch nicht getraut habe, sie anzusprechen. Als ihr dann mal einmal ein ganzes Tablett mit Frühstück und Tee heruntergefallen ist, habe ich ihr einen Brief geschrieben: „Dear catastrophe waitress …“, aber ich habe ihn nie abgeschickt. Es geht natürlich um mehr als diese Kellnerin. Es geht um Leute, die Katastrophen einfach anzuziehen scheinen. Die Frau auf dem Cover ist Sheena. Ich habe sie selbst fotografiert.
Platten von Belle & Sebastian haben alle eine Art Corporate Design, mit pastellenen Schnappschüssen und rätselhaften Kurzgeschichten.
Die Geschichten dienen dazu, den Songs einen assoziativen Zusammenhang zu geben, sie in eine homogene Stimmung einzubetten – ohne gleich ein Konzeptalbum zu schreiben.
Reizt es Sie mit Ihren literarischen Ambitionen nicht, einen Roman zu schreiben?
Wie Nick Cave? Nein, dafür reicht mein Atem nicht aus. Ich diskutiere lieber über Bücher, als dass ich welche schreibe. Gerade lese ich eine Biografie über François Truffaut und bin ziemlich fasziniert vom Paris der Fünfzigerjahre. Ich hätte Lust, in Glasgow Filme zu zeigen und anschließend darüber zu debattieren, mit ernsten Jungs und Mädchen in Trainingsanzügen …
Nostalgisch?
Ein bisschen, ja. Vielleicht liegt’s ja auch daran, dass ich kürzlich die Beatles für mich entdeckt habe. Eine Schande, dass ich nicht früher gemerkt habe, wie phänomenal die eigentlich sind. In den Sechzigerjahren war schon alles vorformuliert, alles ausprobiert, alles da. Es kann einen manchmal schon deprimieren, was das für die eigene Arbeit bedeutet. Wir haben dem nichts hinzuzufügen.
Depression und Melancholie scheinen sich durch alle Platten zu ziehen. Sind Sie eigentlich ein trauriger Mensch?
Ich weiß sehr gut, wie das ist, wenn alles dunkel, dunkel, dunkel scheint. Ich glaube nicht, dass man depressiv wird, wenn man Bücher über Depression liest. Man wird ja auch nicht depressiv, wenn man unsere Musik hört. Aber es gibt wahrscheinlich viele Leute, die unsere Platten gerade deswegen lieben, weil sie den Terror der guten Laune ablehnen und sich in der Traurigkeit wiedererkennen.