: Bolivien weiter auf Konfrontationskurs
Die Opposition aus Gewerkschaften und Indígenas lehnt das Angebot des Präsidenten ab, über den Gasexport abzustimmen. Sie fordert weiter den Rücktritt Sánchez de Lozadas, doch der bleibt stur. Verhandeln wollen beide nicht
BUENOS AIRES taz ■ Boliviens Präsident bleibt stur. Zwar bot Sánchez de Lozada am Mittwoch an, mit der Opposition über alles zu verhandeln – nicht jedoch über seinen Rücktritt. Auch bot Sánchez de Lozada an, ein Referendum abzuhalten über den umstrittenen Erdgasexport – doch sollten seine Gegner auch diesen Vorschlag ablehnen, hätten sie sich selbst disqualifiziert. Dies werde Sánchez de Lozada dann als Beweis dafür werten, dass ihr wahres Ziel die „Störung der verfassungsmäßigen Ordnung“ sei, wie er am Mittwoch in einer Fernsehansprache sagte. Auch will Sánchez de Lozada nicht mit allen Gegnern am Verhandlungstisch sitzen. Die beiden wichtigsten Vertreter der Opposition, der Kopf der Kokabauern Evo Morales, und der Anführer der Indígenas, Felipe Quispe, stehen nicht auf der Liste des Präsidenten als würdige Verhandlungspartner.
Doch beide wollen auch gar nicht mit Sánchez de Lozada sprechen. Sie lehnten den Vorschlag für ein Referendum ab und drängten erneut Sánchez de Lozada zum Rücktritt. Eine breite Front aus Indígenas, Campesinos, Kokabauern und Gewerkschaftern fordert in Bolivien seit Wochen den Rücktritt des Präsidenten, was Sánchez de Lozada kategorisch ablehnt.
Trotz seines Angebots zu Verhandlungen lässt er weiterhin das Militär auf unbewaffnete Demonstranten los. Auch am Mittwoch starben bei Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und Regierungsgegnern zwei Menschen. Die Zahl der Toten bei den Protesten gegen den Präsidenten ist damit auf 55 gestiegen. Nach Angaben von Evo Morales sind damit seit Amtsantritt von Sánchez de Lozada im vergangenen Jahr 140 Menschen von den Sicherheitskräften getötet worden.
Bolivien steht am Rande eines Bürgerkrieges – mit ungleichen Waffen. Mit Steinen und Macheten wehren sich die Demonstranten gegen das Militär. Die Streitkräfte patroullieren auf den Straßen von La Paz und dem nahen El Alto. Demonstrationen oder Straßenblockaden werden sofort gewaltsam aufgelöst.
Doch obwohl der Regierungssitz La Paz fest in der Hand der Militärs ist, haben sie die Lage längst nicht unter Kontrolle. Wegen des unbefristeten Generalstreiks und zahlreichen Straßenblockaden fehlt es in der Stadt an allem: Lebensmittel, Gas, Benzin. Die Geschäfte sind geschlossen, und auf den Märkten gibt es fast nichts zu kaufen. Aber auch in anderen Städten des Landes sind die Folgen der Streiks spürbar, überall werden die Zufahrtsstraßen blockiert.
Inzwischen rumort es auch im Lager des Präsidenten gewaltig. Vor wenigen Tagen erst hat ihm sein Vize, Carlos Mesa, die Treue aufgekündigt. Zurücktreten allerdings wollte er nicht. Auch droht die fragile Parteienkoalition, welche Sánchez de Lozada im vergangenen Jahr an die Macht gebracht hatte, auseinander zu brechen. Die Koalitionspartei Neue Republikanische Kraft (NFR) hat bereits Bedingungen gestellt, um weiterhin mit Sánchez de Lozada zu regieren.
Die Opposition versucht diese Schwäche auszunutzen und fordert, Sánchez de Lozada solle abtreten und Mesa übernehmen. Ein Vorschlag, der auch von Evo Morales unterstützt würde: „Wir akzeptieren, dass der Vizepräsident Mesa das Amt übernimmt, denn wir wollen keinen Putsch, sondern eine verfassungsgemäße Lösung“, sagte er.INGO MALCHER