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Archiv-Artikel

„Solche Kritiker würden in New York gefeuert“

Nach Verrissen seines Stücks „Die letzte Jungfrau“ in Hamburg: Regisseur Tuvia Tenenbom über deutsche und amerikanische Kulturtechniken

Manchmal ist es schwer, sich nicht zu verhakeln zwischen Vermutung und Realität, zwischen Schein und Sein. Besonders dann, wenn tatsächlich alles auf eine Medienverschwörung hindeutet – und wenn einzelne Rezensenten dem Gastregisseur schon bei der Premiere ein „We will kill you“ entgegendonnern: Systematisch abgekanzelt fühlt sich der jüdisch-amerikanische Regisseur und Autor Tuvia Tenenbom, dessen Stück Die letzte Jungfrau am Wochenende an den Hamburger Kammerspielen Premiere hatte. Alle Medien verrissen das Stück als zu holzschnittartig. Und hätte sich nicht auch noch Intendant Axel Schneider in einem Handout quasi für die Inszenierung entschuldigt, wäre das Fass vielleicht nicht übergelaufen. Ohne Not hat zudem die gesamte Springer-Presse fast antisemitisch anmutende Häme über Tenenbom ausgeschüttet.

Mit zwei offenen Briefen hat sich Tenenbom dagegen verwahrt, hat den Kritikern einen engen Horizont attestiert. Hamburger Kulturpolitik rangiere wohl vor dem im Stück thematisierten Nahost-Konflikt, so Tenenbom. Eine argumentative Wendung, die nicht zwingend ist, so wenig wie der öffentliche Disput. „Doch, das war absolut notwendig“, sagt Tenenbom im taz-Gespräch. „Denn ich wollte zweierlei anprangern: einerseits die Art, wie Kritiker hier arbeiten, andererseits die starren Vorstellungen davon, wie ein Thema anzupacken ist. Bezüglich der Kompatibilität des Humors war ich allerdings vorgewarnt: In New York ist das Stück gut angekommen, aber vor der Deutschland-Premiere sagte mir ein Freund, dass das hier anders sein würde. Und dass etliche die Hamburger die Premiere verlassen haben, weil sie fanden, dass ich den Konflikt lächerlich mache, bestätigt dies. Dabei ist das gar nicht mein Ziel: Humor erleichtert den Umgang mit dem Problem. Das haben mir jüdische Theaterbesucher in New York gesagt.“

Tenenbom betrachtet es als Ausdruck von Konditionierung, dass in Deutschland über manche Themen nicht gelacht wird. Doch ob sein Humor auch in Israel so gut ankäme wie in den fernen USA – er weiß es nicht zu sagen. Trotzdem ist er sicher, „dass Stücke wie dieses in Israel dringend gebraucht werden. Diese Europa-Premiere ist ein Test: Wenn das Stück hier gut läuft, wird es irgendwann auch in Israel gut ankommen.“ Tenenbom möchte etwas bewegen und Informationen „über die Verrücktheit der Leute dort“ übermitteln. Aspekte, die die begeisterten New Yorker Kritiker – anders als die Hamburger – vielleicht wirklich als Novum empfanden, denn in den USA, das räumt Tenenbom ein, „ist der Nahost-Konflikt selten Thema von Theaterstücken“.

Doch in solcher Zuschauerschelte erschöpft sich seine Kritik nicht: Auch die Tatsache, dass sich Rezensenten über das Stück unterhalten, habe ihn „schockiert. Das ist ja fast so, als wollten sie sich vergewissern, dass sie auf der richtigen Seite sind. Das finde ich unprofessionell. In New York würde jeder Kritiker gefeuert, der sich so verhielte.“

,Führer‘-Gefolgschaft“ hat er den Kritikern daher öffentlich vorgeworfen; ein Wort, das er auf Nachfrage halb zurücknimmt: Holocaust und Nazi-Terror zu relativieren liege ihm fern. „Mit ,Führer‘-Mentalität meine ich dieses Leithammel-Syndrom, das ich bedauere. Da denke ich dann: Ihr habt nichts gelernt.“ Und auch wenn er zugibt, dass Beeinflussbarkeit kein spezifisch deutsches Phänomen ist, findet er doch, „dass es hier einen beträchtlichen Konformismus gibt. Auf dem Theater etwa fühlen sich derzeit alle dem Dekonstruktivismus verpflichtet. Die Stücke ähneln sich bis ins Design hinein. Eine solche Gleichschaltung gibt es in anderen europäischen Ländern nicht.“

PETRA SCHELLEN