: Geht doch in den Osten!
Es geht hoch her an Hamburgs Universität: 19.000 Bewerber kämpfen um 5.300 Studienplätze. Abiturienten mit Note 1,5 sind in Germanistik chancenlos. Nun drohen 15 Prozent Studienplatzabbau
taz ■ Er begänne an der Uni Hamburg sein Politikstudium, berichtete neulich ein junger Bekannter. Darauf die Frage: „Wieso? Hast Du schon Wartesemester?“ Darauf die Antwort „Nein.“ Darauf die Frage: „Und welche Abi-Note?“ Darauf ein lässiges Achselzucken und die Antwort: „1,4. Hatte halt nie Probleme in der Schule.“
Schön für den Mann. Nicht so schön für ganz normale Schulabgänger. Denn der Mangel an Studienplätzen hat die Notenschwelle für die Platzvergabe an der Universität in groteske Höhen getrieben: Biochemie 1,3 oder 6 Wartesemester, Germanistik 1,4 oder 10 Wartesemester, Völkerkunde 1,7 oder 8 Wartesemester. Selbst einstige Ladenhüter wie Mathematik (2,2) oder Chemie (2,6) wurden zulassungsbeschränkt. Das einzige der 81 Uni-Fächer, das offen blieb, war die nicht allzu bekannte Technomathematik.
Fast 19.000 Bewerber für 5.300 Plätze vermeldete die Uni-Pressestelle zum Ende des Zulassungsverfahrens und titelte: „Attraktives Studienangebot lockt junge Leute nach Hamburg.“ Gegenüber 2002 ist dies eine Steigerung von 12,9 Prozent, gegenüber 2001 gar von 26 Prozent. Zum Geist der neuen Hamburger Hochschulpolitik gehört es, solche Zahlen nicht mehr mit Sorge, sondern mit Freude zu verkünden. Auch andere Hochschulen wie die Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik oder die Hochschule für Angewandte Wissenschaft verzeichnen Steigerungen und haben drei- bis viermal mehr Bewerber als Plätze. Einzig die TU-Harburg kann in ihren technischen Studiengängen auf Zulassungsbeschränkungen verzichten.
„13.000 Ablehnungen wurden verschickt. Für viele junge Menschen ist diese Nachricht eine Katastrophe“, hält die Bildungsberaterin Gudrun Jaeger dagegen. „Unsere Gesellschaft geht mit den jungen Leuten nicht sehr nett um“, sagt auch eine Studienberaterin der Uni, die einen Tipp hat: keiner sollte den Fehler machen, sich nur in Hamburg zu bewerben.
Selbst der Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) rät, woanders zu studieren und verweist darauf, dass in den neuen Ländern Plätze frei seien. Allerdings wird über den Umfang dieser freien Kapazitäten nirgendwo so richtig Buch geführt. Nicht mal das stets gut informierte „Hochschulinformationszentrum“ in Hannover hat eine Statistik über die Zahl der Studienplätze in Deutschland.
So lässt sich schwer abschätzen, welche Auswirkung der Studienplatzabbau haben wird, den Hamburgs Senat im Juni beschlossen hat. 1.750 Studienanfängerplätze sollen bis 2009 wegfallen. Mit 410 Plätzen den größten Abbau gibt es in der „Sektion für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften“. Prozentual gesehen werden in Jura mit 45 Prozent die meisten Plätze abgebaut, gefolgt von den Sozialwissenschaften (39 Prozent), Psychologie (38 Prozent), Kunst (34 Prozent), Architektur (32 Prozent), den Geistes-, Kultur- und Sprachwissenschaften (25 Prozent) sowie dem Bereich Gestaltung und Medien (21,7 Prozent).
Man muss bei diesen Zahlen von einem „weiteren“ Abbau sprechen, denn, so erhellt ein Blick in die Archive, seit 1995 hat Hamburg die Anfängerplätze bereits von 12.500 auf 11.350 reduziert. Beide Abbauphasen addiert, reduziert Hamburg seine Studienplätze fast um ein Viertel in einer Phase, in der die Nachfrage steigt, weil die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge in die Hochschulen einziehen. So geht die Kultusministerkonferenz in ihrer März-Prognose davon aus, dass die Zahl der Abiturienten bis 2008 um 13 Prozent zunimmt. „Diese jungen Leute sind eine kostbare Resscource, mit der wir gut umgehen müssen“, erklärt die GAL-Wissenschaftssprecherin Heike Opitz.
Doch der Bedarf der Schulabgänger interessiere den Senat nicht, weil er formal gesehen mit 9.600 im Jahr 2009 immer noch mehr als genug Plätze für seine dann 6.600 Studienberechtigten habe. Dies ignoriert natürlich, dass die Stadt Bewerber aus ganz Norddeutschland versorgt. Denn in Schleswig-Holstein und Niedersachsen reichen die Studienplätze nicht für deren Abiturienten. Nachrichten aus Kiel und Hannover deuten darauf hin, dass sich dies noch verschärft. So hat Schleswig-Holstein sein Ausbauprogramm gestoppt und Niedersachsen die Schließung der Fachhochschule Buxtehude angekündigt.
Betrachtet aus der Perspektive der Schulabgänger und ihrer Eltern – die immerhin mit Steuern die Hochschulen bezahlen –stellt sich die Lage so dar: Wer supergut ist, darf in Hamburg studieren, alle anderen dürfen warten oder auf Wanderschaft gehen – egal ob sie es sich leisten können. Das bleibt auch so, wenn die Hochschulen sich ab dem Wintersemester 2004/05 ihre Studierenden NC-unabhängig aussuchen dürfen. Schließlich werden weiter die Besten gewählt.
Laut Heike Opitz wird die Lage noch enger. So hat Hamburg im Jahr 2010 die doppelte Zahl zu versorgen, weil der Jahrgang des 12-jährigen Abiturs gleichzeitig mit dem 13-jährigen endet. Und 2012 werden in Niedersachsen die ersten Abiturienten nach zwölf Jahren entlassen. Optiz hält deshalb einen Stopp der Pläne für erforderlich: „Wenn der Senat tatsächlich einen Schwerpunkt auf Bildung setzt, darf er einem solchen Abbau nicht zustimmen.“ Kaija Kutter