Auftritt der Superdichter

Der Autor in der prekären Rolle des Performers – das gab es perfekt bei der Lit.Cologne zu bestaunen. Fazit des Festivals: An Literaturlesungen werden die gleichen Maßstäbe wie an Popkonzerte angelegt

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Zehn Tage Lit.Cologne – das ist ein wenig wie ausgedehnte Zeitungslektüre. Die dominierenden Aufmacher bilden das Ereignis zum Mitreden, die Randspalten bieten aber dennoch die überraschenden Meldungen, die obskuren Verweise und die spannenderen Abende. Und wenn die Nachrichtenlage dünn ist, nimmt man halt einen thematischen Dauerbrenner der Kategorie Schlüpfrigkeit, Nationalsozialismus oder den 150. Geburtstag von „Die Entstehung der Arten“ und gibt dem ganzen einen neuen Twist. Der Vielschreiber Dietmar Dath zum Beispiel durfte als Gesprächspartner schon für ein breites Themenspektrum von Atomphysik bis Zombies herhalten, über die Angst vor dem weißen Blatt hat er allerdings dann doch in Köln geredet.

Und war da noch was auf diesem ausgedehnten Lesefest? Ach ja, der Autor. Natürlich ist es auf der Lit.Cologne nicht der gleiche Autor wie der aus dem Literaturseminar, wo er als durch Lektoren bereinigter Text seinen Auftritt hat und aus gutem Grunde am ehesten als Nachruf präsent ist. Auf der Lit.Cologne sitzt der Autor steif auf seinem Stuhl, nestelt am Finger herum oder kann mit großer Pose durch die vielstimmigen Texte führen – immer gefangen in der prekären Rolle des Performers.

Erfolgversprechend ist diese Rolle allerdings ohne Zweifel. „Das gibt es nur bei der Lit.Cologne“, sagte Christoph Buchwald, Herausgeber des „Jahrbuchs für Lyrik“, am Donnerstagabend. Bis auf den letzten Platz war der Saal des Gloria gefüllt, man kannte sich vom Seminar oder gehörte zu denen, die regelmäßig die hervorragend sortierten Lyrikregale der benachbarten Buchhandlung von Klaus Bittner aufsuchten. Auf der Bühne hatten fünf Vertreter der deutschsprachigen Gegenwartslyrik Platz genommen, gleichermaßen etablierte Poeten und Newcomer. Die jüngere Generation gab sich selbstreflexiv, konnte Einflüsse und Vorbilder ihrer Lyrik exakt benennen und den poetologischen Essay zum Werk gleich mitliefern, während die etablierteren VertreterInnen sich weniger verkopft gaben. Marcel Beyer konnte jedenfalls von der „Musikalität“ seiner Gedichte sprechen, ohne dafür Widerspruch zu ernten. Letztendlich lebte der Abend auch von Herta Müllers Gedichtcollagen, die per Diaprojektor an die Wand geworfen wurden.

Was so ungewöhnlich aber nicht zu sein scheint. Wer in den letzten Tagen die Berichterstattung über das Festival verfolgte, dem dürfte aufgefallen sein, wie sehr nicht die Qualitäten des Texts, sondern das Auftreten der Autoren oder das Niveau der Diskussionen im Vordergrund der Berichterstattung standen. In der FAZ ging ein Kritiker sogar so weit, das Kölner Publikum für sein Fernbleiben zu schelten. Dies alles sind Maßstäbe, die man an ein Konzert anlegen würde oder an eine Theateraufführung, aber an eine Lesung? Was ein wenig verloren geht, sind das persönliche Gespräch mit den Autoren, die von Unbeholfenheit oder profunder Selbstüberschätzung geprägten Beiträge aus dem Publikum, also alle Qualitäten, die eine Lesung von einem Ereignis zu einem Erlebnis werden lassen können. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass die Choreografie der Abende immer perfekter, die Auswahl der Gesprächspartner durchdachter zu werden scheinen.

Da ist es dann eigentlich auch ganz sympathisch, wenn die Dinge mal kurz haken. Freitags im Kunstverein hatte die New-Wave-Band Devine & Griffiths einen kurzen Auftritt inklusive Nervenzusammenbruch. Vorher hatte Michael Bracewell sein akribisch recherchiertes Buch über Roxy Music vorgestellt, deren „exploded style“ Bracewell mit einer improvisierten Collage im Stil von Duke Ellington verglich. Er selber verkörperte den Typ britischen Dandys im Stil des späten Brian Ferry, trug grauen Anzug zum Seitenscheitel und sprach mit angenehmer Zurückhaltung. Dabei fiel wieder auf, wie gerne auf der Lit.Cologne über Biografisches geredet wurde – egal ob aus der Fanperspektive Bracewells oder aus dem Arbeitszimmer der beteiligten Autoren. Es scheint das Sprechen über Geschriebenes ungemein zu erleichtern, wenn sich das Gegenüber als Fixpunkt anbietet. Selbst wenn es nicht immer sonderlich ergiebig ist. Daniel Kehlmann entzog sich am Eröffnungsabend dem Vergleich mit Thomas Mann genau dadurch, indem er erzählte, er schreibe mal vormittags, mal nachmittags und habe überhaupt nicht den strengen Tagesrhythmus des Klassikers.

Matthias Frings dagegen konnte unbefangen von „Wir“ reden, als er seine Biografie des „letzten Kommunisten“ Ronald M. Schernikau vorstellte. Denn sowohl Schernikau als auch Frings haben in ihren Büchern nicht einfach nur ein Leben, sondern das Porträt eines Milieus in seiner Zeit gemalt. Bei Schernikau war es die homophobe Kleinstadt aus seinem literarischem Debüt, während Frings die schwule Subkultur des Westberlins der 80er zwischen linken Fraktionskämpfen und schwulenpolitischem Aufbruch skizziert. Und selbst wenn sich Schernikau 1989 für die im Untergang begriffene DDR entschieden hat, gehörte das letzte Argument des Abends trotzdem der Literatur. Aus der Politik ergebe sich die Poetik, zitierte Frings seinen Freund. Und so habe er an der DDR auch eins besonders bewundert – ihre im Blankvers geschriebenen Gedichte.