piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wir wollen raus aus den dunklen Löchern“ – rein ins Leben

Für drei Monate will der „Theater Discounter Göttingen“ in einer ungewöhnlichen Spielstätte ein Zeichen gegen die zelebrierte Depressivität in Deutschland setzen

Die millionenschweren Kürzungen in der kulturellen Förderung durch das Land Niedersachsen waren gerade verkündet worden, da öffnet der Theater Discounter Göttingen seine Pforten. Das Theater M21 Joachim von Burchards und das Buchfink-Theater von Christoph Buchfink wollen in einer Kooperation ihr Publikum in einem vormaligem Vollkorn-Biomarkt mit preiswerter Qualität überzeugen: 6,99 Euro das Ticket. Zwar wirkt der weiß geflieste Raum mit seinen großen Fenstern auf den ersten Blick sehr steril, „aber vor allem abends hat er Atmosphäre“, ist sich von Burchard sicher. Davon kann sich das Publikum jetzt überzeugen.

Ein ungewöhnliches Arrangement aus ausrangierten Kinosesseln, Sonnenliegestühlen, Matratzen und alten Nachttischlampen dient als Foyer. Direkt daneben: die Bühne. Für das Premierenstück „deutschlandrasen“, inszeniert vom Theater M21, wurde an der Decke eine Plane befestigt. Sie dient als Projektionsfläche für eine 80-minütige Fahrt auf Deutschlands Autobahnen. Davor stellen vier Schauspieler typisch deutsche Eigenarten dar. „Die Bühne soll kein Guckkasten sein, wir wollen einen öffentlichen Raum inszenieren“, sagt von Burchard. Und hat noch ein Anliegen: „Es wird so viel in schwarzen Räumen gespielt, da fällt einem nichts mehr ein. Wir wollen raus aus den dunklen Löchern.“ Und das nicht nur im räumlichen Sinne. „Dieses zelebrierte Mir-geht’s-schlecht im Land muss aufhören“, sagt Christoph Buchfink.

Bisher spielte M21, eines der beiden Nachfolgeensembles des Theater Mahagoni aus Hildesheim, im dortigen Theaterhaus. Jetzt besteht auch eine feste Kooperation mit Spielorten in Leipzig und Berlin, so dass das sechsköpfige Ensemble auf drei Bühnen beheimatet ist. Künstlerisch ist das M21 mit der Dramatisierung von bühnenfremden Texten ständig auf der Suche nach experimentellen Erzählformen.

Buchfink sieht sich vornehmlich als Geschichtenerzähler. Mit Kinder- und Figurentheater zieht der gebürtige Schwabe seit 1993 durch die Lande. Da traf es sich, einen wohlwollenden Vermieter zu finden, der sich bereit erklärte, die Räumlichkeiten für drei Monate zu einem besonders niedrigen Preis bereitzustellen.

Der neuen, konkurrierenden Spielstätte könnte mit mancherlei Argwohn begegnet werden. Dem Deutschen Theater droht die Kündigung des Zuschussvertrages mit dem Land und das Junge Theater hofft nach einer jahrelangen latenten Finanzkrise mit neuer Intendanz endlich die Wende zu schaffen. „Wir sehen da eher ein kollegiales Verhältnis. Wir wollen keine Konkurrenz sein“, beschwichtigt von Burchard. Derzeit erhält das M21 eine projektunabhängige Konzeptionsförderung vom Land und aus der Lotto-Stiftung. Das Buchfink-Theater wirtschaftet vornehmlich mit Tournee-Einnahmen. Der Theater-Discounter selbst erhält keine institutionelle Förderung. Das Ganze sei wie ein Stück, so Buchfink, das er einmal aufgeführt habe: eine lichte Geschichte in dunklen Zeiten. Holger Schleper

Karten unter: info@theater-m21.de oder 0551/508 56 24; info@buchfink-theater.de oder 0551/531 33 40