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Archiv-Artikel

der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR

… musste immer schon die Aufklärung selbst in die Hand nehmen. Deutliche Worte darüber, wie er geht und warum er seinen kleinen Finger abspreizt beim Tee, wieso er Diven anhimmelt statt Fußballer und wer welche Rolle warum besetzt im Beziehungskarton: Das war sein Job, und so soll es auch bleiben. Denn die Gegenseite hat Homo-Forschung nur praktiziert, um endlich herauszufinden, wie man sich das Unerwünschte vom Halse schafft. Wenn das nicht rausspringt dabei, warum sollte man sich damit beschäftigen? Aus reiner Notwehr quasi waren und sind Sexualwissenschaftler deshalb allzu oft Schwule ebenso wie die Sex-Experten und -Pädagogen im Alltag.

Pablo ist sechs Jahre alt und helle, auch wenn er aus Hamburg kommt und nicht aus Berlin. „Elmar, du bist doch schwul?“, fragt er mich und schaut ganz neugierig dabei. „Ja!“, antworte ich, „Und wie kommst du darauf?“ – „Weil du immer Hans-Hermann küsst, deshalb!“ Pablo entgeht nichts. „Elmar, du weißt aber, dass das verboten ist?“ – „Verboten? Was für ein Quatsch!“ – „Doch, das ist verboten. Das hat der Bundeskanzler von Hamburg selbst gesagt.“ – „Der lügt doch!“, und ehe ich fortfahren kann, um Pablo einiges aus dem Leben des Hamburger Bundeskanzlers zu verraten, ist er schon längst weiter: „Elmar, wie heißen eigentlich schwule Mädchen?“ Ich könnte brüllen vor Lachen! Warum fällt mir so was nicht ein? Schwule Mädchen! „Schwule Mädchen sind lesbisch oder heißen Lesbierin.“ – „Aha. Und kennst du l… l… l… lesbische Mädchen?“ – „Oh ja, ’ne Menge!“ – „Wie heißen die denn?“ – „Na, wie Mädchen eben so heißen: Sabine, Brigitte oder Melanie, und eine Ulla kenne ich auch.“ – „Und was für ’ne Haarfarbe haben die?“ Was für Kapriolen schlägt nur so ein Kinderhirn? Die Haarfarbe!? Was soll man darauf antworten? Ich zögere zu lange, Pablos Aufmerksamkeit ist aufgebraucht: „Ich muss los, ins Tor.“ Jetzt ist das Match mit Hans-Hermann dran, 100 Schüsse haben sie verabredet, und Pablo will sie alle halten.

Karl-Georg kommt auch aus Hamburg, er gehört zur Kaste der Pfeffersäcke und ist ein bisschen älter als Pablo, 62 Jahre älter um genau zu sein. 29 Jahre davon lebt er inzwischen mit Kai zusammen, im gemeinsamen Haus zwischen lauter Antiquitäten und viel moderner Kunst an den Wänden. Dass die beiden ein Paar sind, darf aber keiner wissen. Damit das so bleibt, haben sie es zu Meistern der Tarnung gebracht. Wenn sie mal nicht alleine sind siezen sie sich, und haben sie einmal Gäste, mimt Kai den Butler oder den Koch und muss in der Küche essen. Natürlich hat jeder um sie herum die schlechte Show durchschaut, aber irgendwelche Einwände gegen diese Versteckspiele kann Karl-Georg überhaupt nicht verstehen. „Das geht doch keinen was an“, sagt er nur, und das Wörtchen „schwul“ – um Himmels Willen – würde er nie über die hanseatischen Lippen bringen.

Manchmal möchte ich Pablo mit Karl-Georg zusammenbringen, damit der Kleine dem Großen was erzählt: Darüber, dass auch Männer sich gern und überall küssen können und wie schwule Mädchen wirklich heißen. Kinder begreifen schnell und können hin und wieder ganz wunderbare Aufklärer sein.