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Archiv-Artikel

Schwarzbanner und Straßenräuber

Falludscha, die Hochburg des irakischen Widerstands, lebt unter der Willkürherrschaft verschiedener Gruppen, von Baathisten bis Ultraislamisten. Wer nicht zur Waffe greift, wird verachtet. Von der irakischen Regierung ist in der Stadt nichts zu sehen

AUS FALLUDSCHA DHIYA RASSAN

Ein Waffenschmuggler – nennen wir ihn Adnan – war letzte Woche auf dem Heimweg nach Falludscha, als ihn an einem Checkpoint ein Maskierter anhielt. Der schwarz gekleidete Aufständische, ein Mitglied der „Schwarzbanner-Brigaden der Islamischen Armee“, der radikalsten sunnitischen Guerillagruppe der Stadt – entdeckte ein Päckchen Zigaretten im Auto. Die Schwarzbanner-Brigaden hatten verkündet, Tabak sei „haram“, also von der Religion verboten. „Wieso rauchst du? Wir bringen dich um. Gib das her!“, sagte der Aufständische mit einem laut Adnan syrischen Akzent. Aber nachdem er das Päckchen eingesteckt hatte, gab ihm der Kämpfer eine 10-Dollar-Note als Ausgleich. „Nimm das für deine Familie“, sagte er.

Die Einwohner von Falludscha leben unter der oft willkürlichen Herrschaft unterschiedlicher Gruppen, von Islamisten und Ultraislamisten bis hin zu Baathisten und Straßenräubern. Die wenigen Polizisten, die noch auf den Straßen der Stadt zu sehen sind, unterstehen völlig den Befehlen der Aufständischen.

Laut Einwohnern der Stadt unterstehen die Schwarzbanner, die meistgefürchteten Aufständischen in der Stadt, dem Befehl von Omar al-Hadid, einem Iraker, der angeblich der al-Qaida von Ussama Bin Laden angehört. Die Schwarzbanner bildeten die größte Gruppe unter den syrischen und anderen ausländischen Kämpfer in der Stadt, und sie seien die puritanischste von allen.

So verbieten sie angeblich alles, von Zigaretten bis zu Musikkassetten. Der Ruf der Unberechenbarkeit, der ihnen vorausgeht, führt dazu, dass sich in den Vierteln, in denen ihre Checkpoints vorherrschen, nur wenige Leute aus dem Haus trauen.

Doch die Schwarzbanner gleichen die ökonomischen Engpässe, die durch ihre Anwesenheit entstehen, wieder aus. Sie bezahlen ein Mehrfaches des Wertes von allem, was sie anfordern, und verfügen offensichtlich über reichlich fließende Geldquellen. Dies lässt sich von den Kämpfern um Ahmed Samaka nicht sagen, die die örtliche Tradition der Autobahnräuberei hochhalten, indem sie US- und andere Konvois auf den Straßen außerhalb der Stadt angreifen.

Eine dritte Gruppierung untersteht Majed Abu Darah, einem ehemaligen Sicherheitschef eines Bagdader Distrikts. Sie ist auf der Straße nicht sehr sichtbar. Ihre Mitglieder sind großenteils ehemalige Angehörige der Republikanischen Garde und es heißt, sie treten nur in Erscheinung, um Angriffe der Koalitionstruppen zurückzuschlagen. Abdullah al-Janabi, ein weißbärtiger Prediger von der puritanischen Salafistischen Bewegung, ist der wichtigste Mudschaheddin-Führer und gleichzeitig Vorsitzender des Rats. Seine Männer sind unmaskiert, tragen weiße, lange Dishdashas und scheinen mit den Einwohnern freundschaftliche Beziehungen zu pflegen.

Ahmed Naami, Janabis Sprecher, betont, dass seine Gruppe nicht mit Omar Hadid zusammenarbeitet, obwohl er den radikalen Führer als „Mudschahed und frommen Mann“ bezeichnet. Laut Naami hat Janabis Gruppe keine eigenen Einnahmequellen und finanziert sich durch „unsere eigenen Einnahmequellen und durch Kriegsbeute“, wozu „Waren, Geld, Autos und Erpressungsgelder“ gehören, die von den Koalitionstruppen oder von irakischen „Kollaborateuren“ erbeutet wurden.

Was die Behandlung von Geiseln angeht, bestehen offensichtlich Meinungsverschiedenheiten zwischen Janabis und Hadids Gruppe. Die Schwarzbanner stehen im Ruf, jeden Ausländer oder angeblichen Kollaborateur, der ihnen in die Hände fällt, umzubringen, während Janabis Gruppe laut dem Sprecher Naami nur Gelder erpresst, aber „keine Spione oder Geiseln umbringt“.

Die irakische Regierung ist im Kräftegefüge der Stadt abwesend. Die Polizei spielt nur eine untergeordnete Rolle, es gibt keine Nationalgarde hier, und selbst die Brigade von Falludscha, die im vergangenen April zum Schutze der Stadt aufgestellt wurde, ist vor einem Monat aufgelöst worden, als sich herausstellte, dass ihre Angehörigen auf Seiten der Aufständischen kämpften.

Manche beschweren sich über die Verachtung der Mudschaheddin gegenüber allen, die keine Waffen tragen wollen. „Wenn ich sie sehe, sage ich: Willkommen! Willkommen, Kämpfer! Gott möge euch den Sieg verleihen! Aber in meinem Herzen verfluche ich sie“, sagte ein Händler. Vor kurzem hat er eine Gruppe Kämpfer gesehen, wie sie sich anschickten, in der Nähe seines Hauses einen Mörser abzuschießen, und er hat sie gebeten, ein paar Minuten zu warten, damit er seine Familie in Sicherheit bringen könne, bevor die US-Truppen zurückschössen. Die Mudschaheddin seien seiner Bitte nachgekommen, aber unwillig, und sie hätten zu ihm gesagt, er sei kein Muslim, sondern ein Feigling.

Dhiya Rassan wird vom Institute for War and Peace Reporting (IWPR) ausgebildet.

Aus dem Engl. v. Antje Bauer