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Archiv-Artikel

Das Potemkin’sche Dorf heißt jetzt EPR

Im finnischen Olkiluoto bereitet ein internationales Konsortium den Bau eines fünften Atomreaktors vor. Das Projekt soll den Atomstromern als Visitenkarte dienen. Aber das vermeintliche Vorbild für Europa kommt zu sehr speziellen, industriefreundlichen Bedingungen zustande

STOCKHOLM taz ■ Olkiluoto – eine Halbinsel an der finnischen Westküste. Zwei Atomreaktoren stehen hier bereits, die vorbereitenden Erdarbeiten für einen Neubau sind in vollem Gange. Hier soll Finnlands fünfter Reaktor gebaut werden, in der westlichen Welt wäre es der erste seit zehn Jahren und der erste auf dem liberalisierten Strommarkt.

Mit Olkiluoto hofft die internationale Atomindustrie auf ihr Comeback. Die Investoren sind überzeugt, dass das Projekt Profit abwerfen kann. Siemens und Framatome versprechen, mit dem Prototyp des European Pressurized Water Reactor (EPR) nicht nur den von ihnen mit 1.600 Megawatt als weltweit leistungsstärksten, sondern auch als „absolut sicher“ beschriebenen Reaktor zu bauen. Hier soll bewiesen werden, dass AKW-Neubauten politisch möglich, technisch unbedenklich und auch noch wirtschaftlich profitabel sind.

Ihre Kampagne startete die Stromindustrie schon in den Achtzigern. Sie scheiterte zweimal am finnischen Parlament, 1986 und 1993. Beim dritten Anlauf 2002 stimmten dann 107 Reichstagsabgeordnete für und 92 gegen ein fünftes AKW. Neben dem Klimaargument – Finnland hat EU-weit den höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf – spielte bei diesem Meinungsumschwung eine zentrale Rolle, dass mehrere Monate zuvor die „Lösung“ des Atommüllproblems durch Finnland verkündet worden war.

Tatsächlich hatte und hat man nur einen Plan: Hunderte Meter tief im Urgestein und nicht weit von der jetzigen Baustelle entfernt, glaubt man die nuklearen Hinterlassenschaften für die Dauer einiger hunderttausend Jahre „sicher“ vergraben zu können. Locker beiseite geschoben wurde dabei die Kleinigkeit, dass dieses Projekt bislang nur auf dem Papier und in Computeranimationen funktioniert. Die Frage der Realisierbarkeit – 2012 wird für den Baubeginn angepeilt – steht in den Sternen. Um die Wirtschaftlichkeit des Reaktorneubaus hatte sich die Politik nicht zu kümmern, als man das Projekt absegnete. Und dann würden eh alle Pläne scheitern, das zumindest glaubte lange auch die Anti-Atom-Bewegung. „Lasst sie doch bauen“, kommentierte etwa die Tageszeitung Hufvudstadsbladet. Es sei schließlich nicht Sache des Staates, die Industrie vor ruinösen Investitionen zu bewahren. Mit Blick auf das gegenwärtige Strompreisniveau rechnet sich die Produktion aus dem AKW-Neubau jedenfalls nicht. Die Stromindustrie kalkuliert mit einem europaweit massiv steigenden Preisniveau bis zur für 2010 geplanten Inbetriebnahme.

Finnlands zweitgrößter Stromproduzent Teollisuuden Voima Oy (TVO) ist der Auftraggeber. Der hat sein Risiko gestreut und Anteile an der Baufinanzierung – die späteren möglichen Produktionsanteilen entsprechen – an rund 60 andere Unternehmen weiterverkauft. TVO konnte wegen der Konkurrenz zwischen den potenziellen Reaktoranbietern mit drei Milliarden Euro einen Dumpingpreis aushandeln. Das Vorläufermodell des EPR, der N-4, den es in vier Ausführungen schon in Frankreich gibt, kostete laut einer von der französischen Betreibergesellschaft EDF 1996 aufgestellten Berechnung damals bereits 3,3 bis 3,5 Milliarden Euro. Die finnischen Bauherren erhielten einen Festpreis. Überschüssige Kosten, zum Beispiel schwankende Stahlpreise oder Änderungen am Sicherheitsdesign, werden Framatome und Siemens selbst tragen müssen. Dank dieses gesenkten Risikos konnte TVO bei seinen Kreditgebern Darlehenszinsen von 2,6 Prozent aushandeln.

Für ein realistisches Bild von der Wettbewerbsfähigkeit neu gebauter Atomstromproduktion auf einem liberalisierten Strommarkt taugt Olkiluoto damit nicht. Politisch unter sehr spezifischen Bedingungen zustande gekommen, ist es wirtschaftlich gesehen eher ein Potemkin’scher Reaktor, den die Atomlobby hier gerne als Modell verkaufen möchte. REINHARD WOLFF