: Mehrheit für Reformgesetze
Der große Gesetzespoker
Arbeitslosengeld II, Pendlerpauschale und Eigenheimzulage – der Bundestag beschloss gestern wichtige Neuregelungen. Wie und ob diese Regelungen allerdings Gesetz werden, darüber entscheidet im November auch noch die Länderkammer, der Bundesrat. Und dort hat die CDU/CSU das Sagen. Sie kann einige Gesetze stoppen oder noch verändern. Wichtig bei jeder Neuregelung ist daher der „Wahrscheinlichkeitsfaktor“ einer tatsächlichen Umsetzung.
Arbeitslose auf Sozialhilfeniveau
In so genannten Hartz-IV-Gesetz (beschlossen im Bundestag mit 306 Ja- , 291 Neinstimmen und einer Enthaltung) wird die Arbeitslosen- und Soziahilfe zum so genannten Arbeitslosengeld II zusammengelegt. Langzeiterwerbslose, aber auch erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger bekommen ab Mitte 2004 nur noch eine Leistung in Höhe von 345 Euro (Osten: 331 Euro) monatlich plus Erstattung der Wohnkosten. Eigenes Vermögen und Altersvorsorge bleiben bis zu einem Freibetrag von 400 Euro pro Lebensjahr unangetastet. Partnereinkommen wird sehr streng angerechnet.
Wahrscheinlichkeitsfaktor: hoch. Dem Gesetz muss der Bundesrat zustimmen. Die CDU/CSU will Änderungen nur in Details.
Vom Amt zur Agentur
Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg zu einer „Bundesagentur für Arbeit“ ist Ziel des Hartz-III-Gesetzes (abgestimmt mit 304 Für- und 294 Gegenstimmen) . Die lokalen Arbeitsämter sollen künftig „Job Center“ heißen. Dort sollen die Erwerbslosen von Sachbearbeitern intensiver betreut werden als bisher.
Wahrscheinlichkeitsfaktor: sehr hoch. Diesem Gesetz muss der Bundesrat nicht zustimmen. Die Umstellung kommt im nächsten Jahr.
Hausbau wird kostspieliger
SPD und Grüne haben im Bundestag gestern die Kürzung der Eigenheimzulage um 75 Prozent beschlossen. Dadurch würden Familien, die ein Haus bauen oder eine Eigentumswohnung erwerben, bis zu 15.000 Euro verlieren. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz hat Rot-Grün außerdem eine Vielzahl weiterer Kürzungen von Steuervorteilen beschlossen, um Milliarden Euro für den Haushalt 2004 zu beschaffen. So soll die Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Job auf 15 Cent pro Kilometer reduziert werden.
Wahrscheinlichkeitsfaktor: niedrig. Die Unionsmehrheit im Bundesrat muss zustimmen. Kürzungen werden kommen, aber viel moderater, als von SPD und Grünen geplant.
Freiberufler bangen
Rot-Grün will Freiberufler – Ärzte, Notare, Steuerberater, Freie Journalisten und andere – ab Januar 2004 erstmals dazu verdonnern, Gewerbesteuer zu zahlen. Das ist ein Bestandteil der Gemeindefinanzreform. Gleichzeitig sollen Kapitalgesellschaften mehr Steuern an die Kommunen zahlen.
Wahrscheinlichkeitsfaktor: mittel. Der Bundesrat muss zustimmen. Die CDU-Spitze will die Freiberufler schonen, die Meinung in der CSU geht auseinander. Petra Roth (CDU), Chefin des Städtetages, will die Reform aber unbedingt.
Mehr Geld in der Tasche
Zwei Steuersenkungen sollen kombiniert zum 1. Januar 2004 kommen. Der Staat würde seinen Bürgern jährlich 21,8 Milliarden Euro erlassen, die er bisher einkassiert hat. Der Spitzensteuersatz für Wohlhabende sinkt auf 42 Prozent (heute 48,5), die Eingangssteuer für Geringverdiener auf 15 Prozent (heute 19,9).
Wahrscheinlichkeitsfaktor: mittel bis niedrig. Die Länder müssen im Bundesrat zustimmen. Die Steuersenkung würde weitere Löcher in ihre Kassen reißen. Die Union ist zerstritten, schart sich aber zunehmend um CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz, der eine große Steuerreform erst für 2005 propagiert. Andererseits: Wie will die Union erklären, dass sie niedrige Steuern verhindert?
Teure Zigaretten
Der Bundestag hat beschlossen, die Tabaksteuer in drei Stufen um insgesamt 1 Euro pro Schachtel zu erhöhen. Ab Januar soll jede Zigarette 1,5 Cent mehr kosten.
Wahrscheinlichkeitsfaktor: hoch. Der Bundesrat muss nicht zustimmen, könnte das Vorhaben aber mit Zweidrittelmehrheit blockieren. Dass SPD-Länder da mitmachen, ist unwahrscheinlich.
BARBARA DRIBBUSCH, HANNES KOCH