: Braunschweig wird zu Buntschweig
1.600 DemonstrantInnen stoppen trotz Polizeiauflagen Neonazi-Aufmarsch durch die Stadt. NPD und militante Kameradschaften üben zur Überraschung der Verfassungsschützer den Schulterschluss
Aus BraunschweigANDREAS SPEIT
„Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit“ steht auf der Mauer. Hinter der Gedenkstätte mit der Aufschrift mussten zwischen 1944 bis 1945 KZ-Häftlinge auf dem früheren Gelände der Rüstungsfirma „Büssing NAG“ in Braunschweig arbeiten. In der Stadt wurden von den Honoratioren der Stadt später jahrelang am Volkstrauertag Kränze niedergelegt – nicht aber für die Zwangsarbeiter, sondern für die Wehrmachtssoldaten: „Für die Täter“, wie das Bündnis gegen Rechts (BgR) betont. Am Samstag hatte das Bündnis aufgerufen, um gegen die „geistigen Enkel“ der Täter zu protestieren. 1.600 Menschen schafften es mit ihrer Demonstration, den Nazi-Aufmarsch in Braunschweig zum vorzeitigen Abbruch zu zwingen – und das, obwohl den GegendemonstrantInnen eine Stunde vor Demobeginn ihre geplante Marschroute untersagt wurde.
Für Peter Gingold von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) „ein Skandal“, denn die über 80 Gruppen von Kirchen bis hin zu den Gewerkschaften galten als unverdächtig, gewaltsam gegen die Nazis zu protestieren. In der Kürze der Zeit konnten die DemoveranstalterInnen keine Rechtsmittel einlegen, während die fast 200 Neonazis mit höchstrichterlicher Erlaubnis durch die Stadt marschieren durften.
Unter dem Motto „Heimreise statt Einreise“ will die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gemeinsam mit den militanten „Freien Kameradschaften“ ihre Kampagne gegen den „Multikulti-Wahn“ vorantreiben – Braunschweig ist da nur eine Station von mehreren. Demnächst wollen sie in Lüneburg aufmarschieren. Die Zusammenarbeit von NPD und Kameradschaften hat dabei auch die Verfassungsschützer überrascht, waren sie bisher davon ausgegangen, dass die militanten Neonazis nicht mehr mit der Rechtspartei kooperieren würden. Eine klare Fehleinschätzung: Neben dem NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt marschierte der Hamburger Kameradschaftskader Thomas Wulff am Samstag in gemeinsamer Klage über „Geburtenschwund“ und „Masseneinwanderung“.
Doch lange konnten die norddeutschen Rechten an diesem Tag nicht durch die Stadt Heinrich des Löwens ziehen: Die Demonstranten stellten sich im Anschluss an die offizielle Kundgebung den Nazis in den Weg. Kein Platz, an denen ihnen nicht „Haut ab“ oder „Nazis raus“ entgegenschallte. Trotz 1.600 Polizisten konnten die Rechten nicht die rechtliche erstrittene Innenstadt-Route nehmen – der Widerstand war zu heftig. Verärgert folgte die NPD der polizeilichen Anweisung umzukehren.