: Jugendarbeit im Dienste Allahs
taz-Serie „Islam in Berlin“ (Teil 3): Immer mehr Jugendliche finden den Weg in islamische Jugendzentren wie das Hacibayram im Wedding. Was junge Leute wie Fatih Simsek suchen, sind keine fertigen Weltbilder, sondern Antworten auf neue Fragen
VON CEM SEY
Fatih Simsek träumte von einer Fußballkarriere. Seitdem er beide Knie verletzt hat, weiß er, dass der Traum aus ist. Der 23-jährige Türke aus dem Wedding hat auch einen Beruf gelernt: Bürokaufmann. Arbeitslos ist er dennoch. Wie viele seiner Altersgenossen. „Wir treffen uns vormittags“, erzählt er, „dann gehen wir zu einem Internetcafé, wo wir immer hingehen, oder wir fahren mit dem Auto herum.“ Nachmittags allerdings verlässt er seine Freunde aus dem Kiez und geht zum „Hacibayram Jugendverein“ – ein Treffpunkt für muslimische Jugendliche.
Verstärkt suchen türkische Jugendliche in Berlin in den letzten Jahren islamische Jugendvereine auf, hat Claudia Dantschke vom „Zentrum Demokratischer Kultur“ festgestellt. Diese Vereine bieten den Jugendlichen Sport oder Reisen an und oft auch nur eine Großbildleinwand, auf der sie sich die wichtigsten Begegnungen der türkischen Fußballliga anschauen können. Die meisten nehmen auch an den Seminaren dieser Vereine teil. Außer Korankurse werden Geschichts- und Verhaltensseminare angeboten.
Dantschke, die vor einigen Monaten im Auftrag des Berliner Integrationsbeauftragten an einer Studie über diese Gruppe von Jugendlichen mitgearbeitet hat, fällt auf, dass junge Frauen in der Regel größeres Interesse an diesen Angeboten zeigen. Sie seien bildungsorientierte und selbstbewusste Frauen. „Im Gegensatz zu früher“, meint Dantschke, „versuchen islamische Vereine gerade diese Frauen in ihre Arbeit einzubeziehen.“
Mancherorts werden für die Affinität der Migrantenkinder zum Islam die öden Freizeitangebote mancher Bezirke verantwortlich gemacht. Dantschke sieht die Gründe für den Zulauf eher woanders: „Wegen der aktuellen Weltlage haben die Jugendlichen Fragen, auf die sie im Islam eine Antwort suchen. Es ist eine Suche nach verinnerlichter Gläubigkeit, nach Werten. Sie finden dort eine Gemeinschaft.“
So genau kann es Fatih Simsek nicht beschreiben. „Ich bin als Moslem auf die Welt gekommen“, sagt er zögernd, „auch meine Eltern sind Moslems.“ Die Eltern kamen vor 35 Jahren aus Konya in Zentralanatolien nach Berlin. Nach jahrelanger Arbeit bei den BMW-Werken wurde der Vater vor 4 Jahren in die Arbeitslosigkeit entlassen. Auch seine Mutter hat vor kurzem ihren Job als Reinigungshilfe verloren.
Der blonde Türke ist als Jüngster in Berlin geboren und spricht mindestens so gut Deutsch wie Türkisch. „Meine Eltern haben mich zur Moschee zum Korankurs geschickt, als ich jünger war. Später hat mich mein älterer Bruder zum Hacibayram mitgenommen. Jetzt komme ich gerne her, denn wenn ich ein Fußballspiel anschauen möchte, ist es hier am angenehmsten. Hier ist weder Rauchen noch Alkohol erlaubt.“ Außerdem finde er dort Freunde und Menschen, die sich um ihn kümmern.
Celal Tüter, der Chef der Jugendabteilung von Milli Görüs in Berlin, bestätigt diese Meinung aus seiner Sicht: „Sehr viele engagierte Jugendliche und Studenten sind gerne bereit, sich des Nachwuchses anzunehmen“, betont er. Das scheint das Geheimnis des Erfolges von Milli Görüs in der Jugendarbeit zu sein. Fast alle ihrer Funktionäre im Jugendbereich waren selber bereits als Halbwüchsige im Verein. Sie kennen die Sorgen der Migrantenkinder aus eigener Erfahrung.
Milli Görüs, eine Organisation, die seit langem vom Verfassungsschutz beobachtet wird, übernimmt offenbar nur eine koordinierende Rolle zwischen den selbstständig arbeitenden Vereinen. Sie schicken Jugendliche zu den Vereinslokalen, die in der Nähe ihrer Wohnorte sind.
„Einige hundert Meter von hier entfernt läuft im Moment der Nachhilfeunterricht im Berliner Studentenverein“, sagt Celal Tüter. Der Fachmann für Flugzeugmotoren legt großen Wert auf die Bildung der Jugendlichen. Er glaubt, dass Migrantenkinder ohne Hochschulabschluss zum Scheitern verurteilt sind. Auch den Islamunterricht an den Schulen will er auf Deutsch haben: „So können die Kinder den Islam den Deutschen am besten erklären. Nur so können wir verhindern, dass die Deutschen sofort an Ussama Bin Laden denken, wenn vom Islam geredet wird.“
Ob Fatih irgend jemandem den Islam erklären kann, ist sehr fraglich. Auch er hat zwar die Seminare im Hacibayram besucht, kann sich aber nicht mehr genau erinnern, was im Kellerraum des Vereins behandelt wurde.
„Wie man betet und fastet, das haben wir gelernt. Auch einiges über die Geschichte des Islam“, sagt er. Nach einer langen Pause fügt er hinzu: „Am Anfang war es zwar interessant, aber ich war jung, mir war es letztendlich langweilig. Das meiste habe ich wieder vergessen.“
Im ebenerdigen Vereinslokal im Wedding mit seinen riesigen Schaufenstern zur verkehrsberuhigten Straße tobt das Leben. „Jugendliche von 10 bis 30 verbringen hier ihre Freizeit, nehmen an Korankursen teil, bereiten sich auf den Beruf vor, bekommen Nachhilfeunterricht und machen Sport in einer drogenfreien Atmosphäre“, wirbt Recep Demir, einer der Verantwortlichen im Laden.
Ab und zu kommen auch Ältere, wahrscheinlich Rentner, herein, trinken einen türkischen Tee und lesen in ihren türkischen Zeitungen. Bilder in zwei Schaufenstern zeigen die Jugendlichen beim Ausflug oder Fußballspielen. Nur, Besucher fragen sich, ob sie tatsächlich in Berlin sind. Es kommt kein Deutscher in den Laden.
„Unsere Angebote sind zwar nicht nur für türkische Jugendliche, aber da wir türkisch sprechen, kommen meist nur sie“, gibt der selbstbewusste Demir zu. Er selber ist im Alter von 16 Jahren nach Deutschland gekommen. Selbstkritisch sagt er, dass es ein großer Mangel ist, dass sie keinen intensiven Kontakt zu den deutschen Nachbarn unterhalten.
Auch Fatih, der am Nauener Platz im Wedding aufgewachsen ist, sieht eine Grenze in seinem Verhältnis zu den Deutschen. „Ich habe auch deutsche Freunde“, beteuert er, gibt aber im nächsten Atemzug zu, dass es nicht weit her ist mit diesen Freunden. Eine deutsche Frau würde er wahrscheinlich auch nicht heiraten, obwohl er bis vor kurzem eine deutsche Freundin hatte. „Sie werden ganz anders erzogen“, behauptet Fatih, „man kann mit ihnen eine gute Zeit verbringen, aber nicht heiraten.“ Warum, weiß er auch nicht.
Dennoch hat der junge Mann auch mit den herkömmlichen Traditionen der türkischen Migranten in Berlin abgebrochen. Eine Frau, die seine Eltern in der Türkei aussuchen, kommt für ihn nicht in Frage: „Ich muss mein ganzes Leben mit ihr verbringen, nicht meine Eltern.“
Recep Demir weiß, warum türkische Eltern den Deutschen und deutschen Institutionen kein Vertrauen entgegenbringen. Und er kritisiert sie. „Die Moslems denken, dass zum Beispiel die deutschen Kindergärtner nicht sensibel genug sind für die Bedürfnisse der muslimischen Kinder und ihrer Eltern. Das ist ein großer Fehler.“
Demir macht sich ähnliche Sorgen wie viele Deutsche. Er bedauert, dass viele deutsche Eltern bestimmte Stadtteile verlassen und dadurch diese Viertel zu Gettos werden lassen, findet den Ausländeranteil in den Schulen zu hoch und beklagt sich über türkischsprachige TV-Sender.
Doch all das ändert nichts an der Tatsache, dass es vor allem der Islam ist, der für Recep Demir zur Identität türkischer Jugendlicher in Berlin gehöre. „Es ist sehr schlimm, wenn ein Mensch nicht mehr weiß, woher er kommt und wohin er geht. Ein Identitätsverlust würde die Integration eher verhindern“, sagt er und denkt dabei ausgerechnet an das Osmanische Reich. Das Osmanische Reich ist das Vorbild von fast allen Milli-Görüs-nahen Türken. Wer ihnen zuhört, könnte glauben, dass das ehemalige Imperium am Bosporus in Sachen Menschenrechte, Toleranz und Demokratie das Modell der EU gewesen sei. „Wir möchten der ganzen Welt zeigen“, sagt Demir mit fester Stimme, „dass es in der Welt, die die Osmanen beherrschten, keinen Terror gab.“
Wenn es um die Integration in Deutschand geht, klingt die Zielsetzung anspruchsloser und realistischer: „Wir wollen, dass die Jugendlichen nicht kriminell werden, eine gute Ausbildung haben, einen Beruf erlernen und am Ende dieser Gesellschaft nützlich sind. Das ist doch auch das, was die Deutschen wollen. Oder?“
Fatih denkt über solche Probleme erst gar nicht nach. Er bedauert, dass er nicht genug Geld hat, denn dann würde er lieber in der Türkei leben: „Das ist doch ein Land, wo man leben kann. Doch ohne Bekannte bringst du es dort zu gar nichts.“ Bekannte hat er nur in Berlin.