: Die Revolution wird müde
Attac zweifelt vor der bundesweiten Großkundgebung offen am Sinn der Montagsdemonstrationen. Während die Berliner Organisatoren die Montagsdemos erst einmal aussetzen möchten, wollen Magdeburger und Leipziger unbeirrt weitermachen
VON SASCHA TEGTMEIER
Der Glaube an die Kraft der Montagsdemonstrationen schwindet. Wenige Tage vor der bundesweiten Großdemo in Berlin zweifelte Attac-Mitgründer Peter Wahl am Sinn des montäglichen Marschierens. Gestern sagte er dem Tagesspiegel: „Wir müssen weg von der Fixierung auf die Montagsdemos.“ Der Westen habe nicht reagiert, der Funke sei nicht übergesprungen. „Der Osten alleine wird nichts erreichen mit diesen Demos“, so Wahl.
Seit mehreren Wochen sinkt die Zahl der Demonstranten. Attac dementierte zwar, dass sich das globalisierungskritische Netzwerk nach dem Protestmarsch am Samstag von den Montagsdemos zurückziehen werde. Zweifel darüber, ob ein Fortführen der Demos sinnvoll ist, sind bei den Mitorganisatoren jedoch aufgekommen. „Wir müssen uns die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, unendlich weiterzumachen“, sagte Attac-Sprecher Malte Kreutzfeldt. Eine „gewisse Müdigkeit“ habe sich breit gemacht.
Und auch Sascha Kimpel vom Berliner Aktionsbündnis „Weg mit Hartz IV“ meint, dass „die Montagsdemos an ihre Grenze“ gestoßen seien und ihren „Reiz verloren“ hätten. „Es könnte sein, dass die Demos in Berlin nach der Großdemo für ein paar Wochen ausgesetzt werden“, sagte Kimpel der taz.
Die Organisatoren der Demos in Leipzig und Magdeburg wollen dagegen weitermachen. Der Magdeburger Initiator Andreas Ehrholdt, der Ende Juli die Montagsdemos gegen Sozialabbau ins Leben gerufen hatte, sagte: „All das ändert nichts am Verhalten der Magdeburger Demonstranten.“ Und auch Thomas Rudolph vom Leipziger Aktionsbündnis Soziale Gerechtigkeit kündigte an, dass die Proteste weitergehen würden. „Keine Organisation hat das Recht, die Demos abzusagen“, sagte er.
Das Netzwerk Attac sieht die Schuld der schwächelnden Proteste vor allem bei der Zurückhaltung der Gewerkschaften auf Bundesebene. In einem Brief an DGB-Chef Michael Sommer hatte Attac in der vergangenen Woche kritisiert, dass der Gewerkschaftsbund nicht zu den Demonstrationen aufgerufen hatte. „Jetzt ist die DGB-Führung gefragt“, hieß es in dem Brief. Sommer hat laut Attac noch nicht auf die Forderungen reagiert.
Der Leipziger Bewegungsforscher Dieter Rink sieht seine Prognosen bestätigt. Vor einem Monat sagte er im taz-Interview, die Montagsdemos seien eine „kollektive Episode“, die nur ein paar Wochen dauern werde. Rinks Meinung nach hätten die Organisatoren auf dem Höhepunkt der Proteste die Großdemo vorziehen müssen. „Jetzt ist das Thema gegessen“, sagte Rink der taz, „die Luft ist raus.“ Es fehle immer noch eine klare inhaltliche Perspektive. Dagegen wollen die Organisatoren der Montagsdemonstrationen jetzt etwas tun: Am Sonntag – einen Tag nach der Großdemo – sollen auf einem Kongress in Berlin Alternativen zu den Arbeitsmarktreformen der Regierung diskutiert werden. Das könne der Beginn einer „neuen Protestwelle“ sein, so Rudolph aus Leipzig.
Auch Attac-Sprecher Kreutzfeldt gibt neuen Demonstrationen eine Chance. Attac hat beispielsweise eine Aktion vor der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg organisiert. „Selbst wenn es vorerst ein Ende gäbe, waren die Demos keineswegs ein Flop“, sagte er. Durch die Montagsdemos seien Strukturen entstanden, aus denen jederzeit neue Proteste entspringen könnten. Zudem hätten die Demos politisches Interesse geweckt.
Nach Ansicht des Berliner Organisators Kimpel liegt die Zukunft der Proteste nicht zwingend bei den Montagsdemos: „Das Ende der Demos darf nicht mit dem Ende der Proteste gegen Hartz IV gleichgesetzt werden.“
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