: Über Kreuz mit dem Staat
aus MadridREINER WANDLER
Der Sprecher der spanischen Bischofskonferenz, José Antonio Martínez Camino, hat das Böse entdeckt. Es hat in der Person des Regierungschefs José Luis Zapatero Gestalt angenommen. Der junge Sozialist, der vergangenen März überraschend die Konservativen auf die Oppositionsbank verbannte, betreibe „einen aggressiven, antichristlichen Laizismus“. Diesen „gesellschaftlichen Virus“ gelte es zu bekämpfen. Die Gläubigen sollten, so der Bischof, „ihren Standpunkt auf der Straße klarmachen“.
Den kirchlichen Oberhirten erregen eine Reihe von Gesetzesvorhaben, die für die Bischöfe gegen die „Grundsätze der Religion verstoßen“. So will die Regierung am Freitag ein Gesetz für das Recht der Homosexuellen und auf Ehe und Adoption vorlegen. Zwar „verdienen die Homosexuellen unseren Respekt“, stellt der Sprecher der Bischofskonferenz fest. Aber „die Legalisierung der homosexuellen Ehe ist ungerecht und schädlich für das Gemeinwohl“, zürnt er dann.
Vor zwei Wochen verabschiedete das Kabinett Zapatero eine Flexibilisierung des spanischen Scheidungsrechtes. Bisher waren die Betroffenen dazu gezwungen, sich richterlich trennen zu lassen, um dann nach einem Jahr erneut vor Gericht zu erscheinen, um die Scheidung erwirken zu können. Bis 1978 war in Spanien eine Scheidung überhaupt unmöglich. Nur die Kirche konnte eine Ehe annullieren. Künftig soll es mit einem Verfahren ohne die Suche nach einem Schuldigen getan sein. Die Kirche befürchtet eine weitere „Zerrüttung der Familie“. Die Ehe werde durch die Reform „zu einem reinen Kaufvertrag herabgewürdigt“. Grund zur Klage hatten die Bischöfe auch durch den Beschluss der Regierung, den Religionsunterricht aus der Liste der versetzungsrelevanten Schulfächer zu streichen. Künftig soll statt Kirchendoktrin eine Geschichte aller Religionen gelehrt werden. Weitere strittige Entscheidungen stehen an. Im kommenden Jahr soll die Abtreibung liberalisiert, die Stammzellenforschung ermöglicht und „eine breite Debatte“ über die Euthanasie angestoßen werden. „Die Kirche bereitet eine Reihe von Initiativen vor, um die katholische Ansicht über die Gesellschaft zu verteidigen“, kündigt die Bischofskonferenz deshalb die Mobilisierung der Gläubigen an. Hinter der streitbaren Haltung der spanischen Bischöfe steckt mehr als „die Sorge um die Werte und Traditionen der Gesellschaft“. Es geht um die Rolle der katholischen Religion – oder anders ausgedrückt: um Privilegien und Geld. Die Bischöfe beschuldigen die Sozialisten, an einer „Roadmap“ zu arbeiten, um die katholische Kirche zu isolieren. „Es braucht keinen Plan, um Staat und Kirche zu trennen. Wir leben in einem laizistischen, nichtkonfessionellen Staat, so steht es in der Verfassung“, hält ihnen Regierungssprecherin María Teresa Fernández entgegen. Was aus den Ministerien durchsickert, beruhigt die Bischöfe nicht. Erstmals in der spanischen Geschichte soll die katholische Religion mit anderen Religionen – der protestantischen, jüdischen und muslimischen – gleichgesetzt werden, verkündete kürzlich ein Staatssekretär. Im nächsten Jahr laufen eine Reihe von Abkommen zwischen Kirche und Staat aus. Bisher wurden sie immer automatisch verlängert. Dieses Mal könnte dies anders sein.
Die Sorge um ihre Privilegien trifft die Hirten in schweren Zeiten. Ihnen laufen die Schäfchen weg. Die Kirche ist längst zu einer Institution verkommen, deren Regeln man zwar an wichtigen Festtagen befolgt, deren Werte man aber nicht nachvollziehen mag. Obwohl in Spanien über 90 Prozent der Bevölkerung getauft ist, und bis heute drei Viertel aller Eheschließungen in der Kirche und nicht nur auf dem Standesamt stattfinden, werden die Bänke am Sonntag immer leerer. Gingen 1981 noch 53 Prozent gelegentlich zum Gottesdienst, waren es in der letzten Umfrage nur noch 35 Prozent. 70 Prozent der Spanier heißen die Homo-Ehe gut. Und nur noch 20 Prozent wären – laut einer jüngsten Umfrage – bereit, „selbst ihr Leben zu geben, um die Kirche zu verteidigen“. Nur der Begriff „Vaterland“ weckt noch weniger Passionen. Dafür würden sich 16 Prozent opfern.
Spaniens Kirche bezahlt mit der wachsenden Unbeliebtheit für ihre Rolle in der Geschichte des Landes. Nirgends wütete die Inquisition so sehr wie hier. Muslime wurden vertrieben oder mit Gewalt christianisiert, ebenso die Juden. Auch im Spanischen Bürgerkrieg (1936– 1939) und der anschließenden Diktatur unterstützte die Kirche die putschenden Generäle um Francisco Franco und ihr grausames Vorgehen gegen die „Roten“.
Nach dem Tod des Diktators 1975 konnten sich die Bischöfe ihre Privilegien sichern. 1978 unterzeichnete das demokratische Spanien abermals ein Abkommen mit dem Vatikan, auf das sich die Beziehung Staat und Kirche bis heute stützt. Die öffentliche Hand finanziert die Religionslehrer, die katholischen Privatschulen, auf die rund ein Drittel der spanischen Schüler gehen, sowie kirchliche Krankenhäuser und den Erhalt der vielen Kathedralen im Lande. Der Staat muss tief in den Haushalt greifen, um die 3,5 Milliarden Euro jährlich für die Kirche aufzubringen. Denn nur 106 Millionen Euro bringt die Kirchensteuer. Nur noch jeder Dritte zahlt 0,52 Prozent seiner Lohn- und Einkommenssteuer an die Kirche. 40 Prozent wählen die zweite Option auf der Lohnsteuerkarte und geben diesen Teil an Nichtregierungsorganisationen ab – ohne freilich zu wissen, dass auch dort meist kirchliche Einrichtungen die Hand aufhalten. Der Rest lässt das Feld frei. Dies bedeutet, dass je die Hälfte der fälligen Steuer an Kirche und NGOs fließt.
„Ich glaube, dass die Kirche mit der Regierung etwas respektvoller umgehen sollte“, mischt sich der ehemalige sozialistische Regierungschef Felipe González (1982–1996) in den Streit ein. „Die Finanzierung war nie endgültig festgeschrieben, sie wurde immer wieder verlängert“, befürwortet González die Ausarbeitung einer neuen Regelung. Er selbst setzte freilich immer wieder auf eine Verlängerung. Kurz nach dem Ende der Diktatur waren die Zeiten nicht reif für eine offene Debatte um die Rolle der Kirche. González beschränkte sich auf eine zaghafte Indikationsregelung bei der Abtreibung. Außerdem förderte seine Regierung das öffentliche Schulsystem, um den Familien eine Wahlmöglichkeit zu geben.
Als 1996 der Konservative José María Aznar die Geschicke des Landes übernahm, wuchs der Einfluss der Kirche sogar wieder. Der Religionsunterricht wurde wieder versetzungsrelevant, die Privatschulen wurden mehr denn je unterstützt. Mehrere Minister Aznars gehörten dem „Opus Dei“ an. Der ultrakatholische Laienorden zählt in Spanien 30.000 Mitglieder. Nicht nur dort, wo die konservative Partido Popular regiert, geht bis hinunter auf Gemeindeebene oft keine Entscheidung an der „Obra“ – dem „Werk“ vorbei.
Angesichts von Zapateros entschlossenem Vorgehen in Richtung laizistischer Staat bekommt auch so mancher in den Reihen der Sozialisten kalte Füße. „Wenn wir der Kirche den Krieg erklären, gewinnt nur die Partido Popular“, warnte gestern der streng katholische Sozialist, Verteidigungsminister José Bono, Regierungschef Zapatero, der mit einem Minderheitskabinett regiert.