: Die Partei der Demoskopen
„Das Thema wird im Wahlkampf eine Rolle spielen – da ist man versucht zu hinterfragen“: Die schleswig-holsteinische SPD fühlt sich durch eine Meinungsumfrage, die sie selbst in Auftrag gegeben hat, in ihren bildungspolitischen Zielen voll bestätigt
Aus KielEsther Geißlinger
Politiker fragen, Bürger antworten – und die SPD darf aufatmen: Volkes Stimme spricht sich für die Positionen zur Schulpolitik aus, die sich die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein in ihr Rahmenprogramm geschrieben haben. Gestern stellten Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave, der SPD-Landesvorsitzende Claus Möller und sein Stellvertreter Detlef Buder in Kiel die Ergebnisse einer Umfrage vor, bei der 1.000 Schleswig-Holsteiner zum Schulsystem des Landes befragt worden waren.
Immerhin 52 Prozent meinten dabei, dass es „grundsätzlich richtig“ sei, wenn Kinder bis zur zehnten Klasse gemeinsam unterrichtet würden. Und da es „ja darauf ankommt, wie man fragt“, wie Erdsiek-Rave sagte, fiel das Ergebnis noch klarer aus, als die Fragesteller von „Infratest Sozialforschung“ darauf hinwiesen, dass Länder mit Gesamtschulen bei Studien wie PISA deutlich besser abschnitten: Vor diesem Hintergrund waren gar 67 Prozent der Schleswig-Holsteiner dafür, das dreigliedrige System über Bord zu werfen.
Dabei gelte die Aufteilung deutscher Kinder in Haupt-, Realschüler und Gymnasiasten „fast als heilig“, sagte die Ministerin. Daher war es der SPD wichtig festzustellen, ob sie auf dem Bauch landen würde, wenn sie an den Grundzügen des Systems rüttelt: „Das Thema wird im Wahlkampf eine Rolle spielen, da ist man versucht zu hinterfragen: Wie liegt man denn damit?“, sagte Möller. Wäre das Ergebnis völlig anders ausgefallen, „dann hätten wir sicher weiter für unsere Position geworben“, erklärte er standhaft – aber vermutlich ist die Partei froh, nicht gegen die öffentliche Meinung Stellung beziehen zu müssen – aller politischen Logik nach wäre das Thema „Schule“ in den folgenden Wochen dann eher unter „ferner liefen“ abgehandelt worden.
Mit der Umfrage im Rücken aber will Rot-Grün jetzt richtig die Schulglocke läuten – die Grünen sprechen sich für neunjährigen gemeinsamen Unterricht aus. In der Studie, die die SPD in Auftrag gegeben hatte, wurden auch CDU-Positionen abgefragt, so etwa, ob eine Gesamtschule als altmodisch empfunden werde – schließlich saßen in den Dorfschulen vergangener Tage alle Kinder in einem Raum. 63 Prozent der Befragten fanden das eher nicht. Stattdessen meinten 69 Prozent, die Gesamtschule bedeute für Kinder aus sozial schwachen Familien eine bessere Startchance. Fast ebenso viele, nämlich 60 Prozent, fürchten aber auch, dass gute Schüler beim gemeinsamen Lernen weniger gefördert werden.
„Das ist ein Knackpunkt“, sagte Erdsiek-Rave. „Da müssen wir noch mehr argumentieren, diese Sorge müssen wir den Eltern nehmen.“ Nachdenken will die SPD auch über das Thema „Zentrale Abschlussprüfungen“: 82 Prozent der Befragten finden das gut, 83 Prozent sind für einheitliche Qualitätsstandards. 79 Prozent befürworten einen „Schul-TÜV“, den die SPD prompt auch einführen will.
Zeit genug für weitere Gedanken bleibt: Selbst wenn das Thema im Wahlkampf auf heißer Flamme gekocht wird und der jetzigen Regierung am Ende sogar Stimmen bringt, wird es noch lange dauern, bis Eltern, Kinder und Lehrer tatsächlich mit der flächendeckenden Gesamtschule zu tun bekommen. Zehn, vielleicht 15 Jahre werden vergehen, bis es soweit ist, schätzte Buder – so lange habe es in Skandinavien gebraucht, an dessen Vorbild sich die schleswig-holsteinische SPD orientiert. Daher gab es kaum Informationen zur praktischen Umsetzung oder gar zu den Kosten des Systemumbaus. Weitere politische Weichenstellungen per Umfrage wird es – zumindest in der SPD – nicht mehr geben, erklärte Möller: „Dafür haben wir keine Ressourcen.“ Rund 30.000 Euro kostete die vorliegende Studie.
Von einer „politisch gefärbten“ Umfrage sprach die CDU- Landtagsfraktion. „Die schleswig-holsteinische SPD vertraut nicht mehr auf die Überzeugungskraft der eigenen Argumente, deshalb bastelt sie sich eine Meinungsumfrage“, sagte der stellvertretende CDU- Fraktionsvorsitzende Jost de Jager.