: Merci Merci Merci für die Jahre Chérie Chérie Chérie
Udo Jürgens wird heute 70. Weiter so
VON JAN FEDDERSEN
Eigentlich fing seine singende Karriere erst an, als er schon fast zu alt war, gemessen jedenfalls an den Laufbahnen heutiger Darsteller von musikalischen Leistungen. Knapp 29 Jahre war er 1964. Der Münchner Medienmanager Hans Beierlein hatte ihn in einer Schwabinger Hotelbar aufgetan – und als guter Scout in ihm das Material für seine eigenen Träume gefunden. Udo Jürgens, so geht die Überlieferung, konnte Klavier spielen, er mochte es sogar, hinter den Tasten zu sitzen und drauflos zu klimpern. Und Beierlein dachte: Aus dem mache ich die Antwort auf den deutschen Humtataschlager. Der wird ein Womanizer sondergleichen. Der hat einfach diesen schüchtern-scheuen Männerrehblick, den man braucht, damit Frauen zu träumen beginnen. Und Jürgens ließ sich gewinnen – zumal er ja keine Wahl hatte. Ein Besessener am Komponistenpult – und doch unfähig, ein Leben jenseits des Pianospiels zu organisieren.
So fand sich ein Erfolgsduett zusammen – Beierlein fundierte seinen Ruf als Mann mit dem genauen Blick für Gehaltvolles; und Udo Jürgens konnte, längst frei von pubertären Allüren, endlich jene Karriere machen, die ihm schon vorschwebte, als er Anfang der Fünfziger einen ersten Komponistenwettbewerb gewann. „Warum nur, warum?“, „Sag ihr, ich laß sie grüßen“ oder „Merci Chérie“ – drei Chansons, mit denen er am Grand Prix Eurovision teilnahm, weil, so Beierlein, es „eine internationalere Bühne damals nicht gab“. „Merci Chérie“ schließlich war sein Siegertitel des Jahres 1966 und Jürgens war fast ein gemachter Mann.
Fortan sollte seine Karriere nicht einmal den leisesten Einbruch verzeichnen müssen; Hits über Hits, Schlager über Schlager, Kommentare zur Zeit, Kompositionen, die sich – in der Rückschau – wie Pulsmesser an der Befindlichkeit der nationalen Seele ausnehmen: „Griechischer Wein“, „Buenas Dias, Argentina“, „Ehrenwertes Haus“, „Aber bitte mit Sahne“ oder „17 Jahr, blondes Haar“ – Udo Jürgens, inzwischen ein älterer Herr mit dem Appeal andauernder Vitalität, lieferte Statements zur Zeit. Kein Linksradikaler, das gewiss nicht, aber eine sozialliberale Seele von gusseiserner Statur. Ob er gegen spießige Nachbarn und die Fettlust der Deutschen sang, ob er eine Dame seines Herzens besang oder das Heimweh von Gastarbeitern – Udo Jürgens konnte echte Themen setzen, er musste nicht nur Schlagereinerlei um Herz & Schmerz interpretieren: Seine Herkunft als Spross einer Familie von Bildungsbürgern hätte ihm dies verboten.
Anspruch blieb Anspruch, Udo Jürgens war der einzige deutschsprachige Entertainer, der kein Liedermacher sein musste, um als Themenerörterer akzeptiert zu werden. Nun hat er mit der Autorin Michaela Moritz ein Buch veröffentlicht, in dem er die Geschichte derer zu Bockelmann (Udo Jürgens’ Geburtsname) als popliterarische (wenn auch etwas länglich-bemühte) Entsprechung zu Thomas Manns „Buddenbrooks“ verzeichnet. Voller Weltbürgerlichkeit, hier mal Hamburg, dort mal Preußen, dort ein paar Landgüter, schließlich Flucht, Vertreibung und, in Sachen Udo Jürgens offenherzig, ein paar Anekdoten zur Zeit als HJ-Junge: ein Mann, der sich seit je als Individualist verstand und keiner Fahne hinterhertraben wollte. Unglücklich nur sein Anfang als Mann, der die Frauen liebt – als schlaksiger, eher fahlhäutiger Mann am Klavier guckten, so seine Erinnerung, die Mädchen immer andere an und nicht ihn, der doch, wie er sagt, „in der Idee der Frau das Schöne der Welt“ erst erkennen könne.
Als er schließlich Erfolg hatte, konnte er diesem Begehren endlich Zucker geben: „Mich hat nie ein Mädchen angeguckt, doch am Klavier habe ich ihre Augen zum Leuchten gebracht.“ Und das sollte so bleiben, auch in der Nachwuchsfrage war er wie sein Freund Franz Beckenbauer ein Mann der unehelichen Gelegenheit: vier Kinder hat er, klaglos zahlte er Alimente – was seinem Ruf als Womanizer mit besonderer Vorliebe für die ganz jungen unter den Frauen nur gut tat, ja, ihn erst legendär machte.
Trotz aller Partylust, allen Statements zur Zeit war er dem Zeitgeist nie voraus, zugleich aber treu in der Formulierung dessen, was ihn jeweils aktuell macht. Früher, als er noch mehrmals den Bravo-Otto in der Kategorie des männlichen Solokünstlers gewann, verkörperte Udo Jürgens ungehemmte Lebenslust, eine Mischung aus Boheme und Modernität in Lifestylefragen samt Rollkragenpullover, längerer Haare und Afghanenmantel – das Antibild zur depressiv-aufgewühlten Jugend, für die heute die Chiffre Achtundsechzig steht. Später als Promoter von Wehrdienstverweigerung und noch später als Freund der Friedensbewegung stand er in den Achtzigern für die Erörterung von Beziehungsfragen („Gabi wartet im Park“) oder öden Ehen („Ich war noch niemals in New York“). Heute fungiert er als Ermunterer in Sachen politischer Inkorrektheit.
Unumwunden kommentiert er, Deutschland möge sich aus seiner „Wehleidigkeit“ erheben, denn die Globalisierung, die sei unvermeidlich, und „wir müssen begreifen, dass das klappen muss“. Zur Nazivergangenheit meint er – dies auch in seinem Buch nachzulesen –, „alle Entschädigungszahlungen sollten eingestellt werden“, denn die „Söhne“ hätten „für die Verfehlungen der Väter“ genug gebüßt. Deutschland sei das Land der Wiedergutmachungsspitzenleistungen – und nun müsse es mit Scham und Schuld eben mal ein Ende haben. Und sagt zugleich, dass „wir“ (als Deutscher, der er nicht ist, aber der er sein könnte), nach dem Krieg „kastriert“ gewesen seien, weil doch „das Judentum in diesem Land“ aufgrund des Holocaust „wieder eine Heimat finden müsse“. Das wäre sein „größter Wunsch“.
Zwar ist der längst in Erfüllung gegangen, aber woher soll Udo Jürgens das wissen: Er sagt oft etwas, was irgendwie banal klingt und selbstverständlich. Immer nur das, was die gesellschaftliche Mitte verkörpert. Nichts bisher über die aktuelle deutsche Politik. Da hält er sich raus – nur dass er die Grünen liebt und Bundeskanzler Gerhard Schröder für einen guten Politiker hält, das lässt er durchschimmern. Ein Mann, der die Menschen mit Neigung zu ökologischer Müllsortierung mag, der keinen Krieg will und der Soldaten lieber zu Sozialarbeitern umschulen lassen würde, der dennoch die Kultur der Bausparer kennt, denn die sitzen in seinen Konzerten. Der zugleich keinen Kommunismus mag und ein „gebildetes Kapital“ fordert. Der Vulgarität hasst und längst von der Reproduktion des eigenen Ruhms lebt.
Ein Mann der Mitte, ein Pulsfühler. Er ist der Deutschen liebster Berufsjugendlicher. Man mag ihn, man hat sich an ihn gewöhnt. Er ist mehr als ein Handwerker, er kann entertainen und hat doch in den letzten 15 Jahren keinen aktuellen Hit mehr gehabt. Eine Bekenntnismaschine, wie sie im Genre des Schlagers als Rolle nicht vorgesehen ist: Udo Jürgens, ein Moralist am Klavier.