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Archiv-Artikel

Was hängen bleibt

betr.: „Lehrerstand: Alt, krank, frustriert – gut bezahlt“, „Ein Beruf wie jeder andere“, taz vom 22. 9. 04

Am 22. 9. schreibt die taz in einer Überschrift auf der ersten Seite: „Die Lehrerstudie der OECD guckt sich die Lehrkräfte in Deutschland an und entdeckt eine demotivierte Berufsgruppe.“ Am folgenden Tag wird die Behauptung, die OECD hätte festgestellt, „Deutschlands Lehrerschaft“ sei „demotiviert“, noch zweimal wiederholt, und zwar in der Überschrift zum Leitartikel und im Leitartikel selbst.

Diese Darstellung vermittelt ein völlig falsches Bild von dem, was wirklich in der Lehrer-Studie der OECD steht. Dort heißt es nämlich gleich im ersten Satz des Kapitels über die Arbeitssituation der Lehrkräfte: „Wir stellten bei unseren Schulbesuchen ein starkes berufliches Engagement der Lehrkräfte und gute Lehrer-Schüler-Beziehungen fest.“ Weiter ist von einer „sehr positiven Einstellung“ der meisten Lehrer gegenüber ausländischen Kindern die Rede. Außerdem schreibt der Bericht: „Gymnasiallehrerinnen und -lehrer weisen insbesondere ein starkes Engagement in ihrem Fachbereich auf.“

Das Wort „demotiviert“ erscheint ein einziges Mal im OECD-Bericht, und zwar in folgendem Zusammenhang: „Manche Beschlüsse, wie z. B. die Erhöhung der Unterrichtsstunden, hatten eine demotivierende Wirkung und führten dazu, dass Lehrkräfte an einigen Gymnasien nicht mehr bereit sind, an außerschulischen Aktivitäten teilzunehmen.“ Hier ist also nur von einer sehr kleinen Gruppe von Lehrern die Rede und außerdem bezieht sich der Ausdruck „demotivierende Wirkung“ nur auf außerschulische Aktivitäten und nicht auf den Unterricht. Es ist unverantwortlich, aufgrund einer solchen sehr eingeschränkten Aussage zu behaupten, die OECD habe „Deutschlands Lehrerschaft“ insgesamt als demotiviert porträtiert.

Wie tendenziös die Berichterstattung der taz über die OECD-Lehrerstudie auch sonst noch ist, zeigt sich in einem weiteren Punkt: Die OECD-Studie hatte festgestellt, dass deutsche Lehrer im statistischen Durchschnitt älter sind als die Lehrer anderer Länder. Die taz macht aus der empirischen Tatsache der Überalterung ein negatives Werturteil. In der Überschrift des Leitartikels am 23. 9. heißt es nämlich, deutsche Pädagogen seien nach Aussage der Lehrerstudie „veraltet“, d. h. „unmodern“ und „von der Entwicklung überholt“. Davon ist im Gutachten nirgendwo die Rede und die OECD hat sich inzwischen von solchen Fehlinterpretationen ihres Gutachtens ausdrücklich distanziert. Erfahrungsgemäß werden nachträgliche Berichtigungen von den meisten Lesern nicht wahrgenommen. Was hängen bleibt, ist der Eindruck, auch die OECD habe bestätigt, dass deutsche Lehrer „faule Säcke“ sind und einen veralterten Unterricht geben. Dieses gerade in Deutschland verbreitete „Schlechtreden“ und Nicht-Anerkennen von Engagement und Leistung trägt zu der Tatsache bei, dass sich ein Drittel der Lehrkräfte in Deutschland psychisch belastet fühlt, wie es die OECD in ihrem Bericht tatsächlich festgestellt hat. NORBERT HAVERS, München

Seit 29 Jahren unterrichte ich an einer kaufmännischen berufsbildenden Schule Politik, Rechtslehre und Wirtschaftslehre. Der Unterricht bezieht sich auf etwa 300 Schüler wöchentlich, da im Durchschnitt 24–25 Schüler pro Klasse eine individuelle Ansprache erwarten. Diese Schülerzahl führt dazu, dass von mir jährlich ca. 4.000 Klassenarbeitsaufgaben zu Hause korrigiert werden müssen.

Unsere Schule ist seit 18 Jahren mit Computern für den Unterricht und die Schulverwaltung ausgestattet. Dafür hat der Schulträger viel Geld investiert. Für Renovierungen gab es dagegen seit 29 Jahren keine Mittel. Jetzt renovieren die Schüler und Lehrer die Klassenräume nach und nach selbst. Die Heizung stammt noch aus den 50er-Jahren. Im Winter steigt die Temperatur daher in vielen Räumen nicht über 18 Grad. Da die Fenster undicht sind, frieren die Schüler, müssen aber acht Unterrichtsstunden in diesen Räumen aushalten.

Das Land Niedersachsen hat nie genug Mittel gehabt, um eine hinreichende Lehrerfortbildung anzubieten. Jetzt wird auch noch die Landeszentrale für politische Bildung aufgelöst. Ich habe daher meine Fortbildung mehrfach selbst finanziert, um die qualifizierten Angebote evangelischer Akademien zu nutzen.

Nach einer Studie der DAK sind 38 Prozent der Berufsschullehrer gefährdet, psychisch zu erkranken. Bei mir sind nur die Stimmbänder ruiniert. Schon immer träume ich von einem Arbeitsplatz in der Schule mit einer 38,5-Stunden-Woche und sechs Wochen Urlaub, wie im öffentlichen Dienst üblich. Doch nie ist ein Politiker zu uns in unsere Schule gekommen, um mit uns darüber zu diskutieren oder wenigstens die Zustände zur Kenntnis zu nehmen. Die Jugendlichen und Lehrer lassen sich trotzdem nicht entmutigen.

JÖRG PLÖNJES, Braunschweig