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Archiv-Artikel

„Zahnersatz“ heißt jetzt „Sonderbeitrag“

Rot-Grün verschiebt Kassenbeitrag zulasten der Arbeitnehmer – jetzt ohne Union. Parität verabschiedet

Von UWI

BERLIN taz ■ Die Sprecherin des Gesundheitsministeriums klingt etwas streng: „Das heißt jetzt nicht mehr Krankengeld.“ Stimmt: Was in den Verhandlungen zur Gesundheitsreform als „Ausgliederung des Krankengelds“ firmierte, ist tatsächlich nur noch „Sonderbeitrag“. Um 0,5 Prozent wird ab Mitte 2005 der Krankenkassenbeitrag zum Arbeitnehmer hin verschoben. Die gleiche Operation wird nun die rot-grüne Koalition beim Zahnersatz vornehmen. Der heißt jetzt auch „Sonderbeitrag“.

Statt der ursprünglich geplanten Extraversicherung wird es eine Beitragsverschiebung von 0,4 Prozent geben, die zum Ex-Krankengeld addiert wird. Morgen wird der Bundestag das Gesetz dazu verabschieden. Dass die Union dagegen ist, macht nichts. Das Gesetz muss nicht durch den Bundesrat.

Die Versicherten bekommen davon nur so viel mit, dass ihnen ab Juli 2005 mehr abgezogen wird. Wer 2.000 Euro brutto verdient, zahlt neben dem Kassenbeitrag also 0,9 Prozent Sondersonderbeitrag, macht 18 Euro. Davon war die Hälfte ursprünglich der Arbeitnehmeranteil, um die andere Hälfte wird der Arbeitgeber folglich entlastet.

Nach über einem Jahr Streit um den Zahnersatz bleibt dieser also Kassenleistung – und hat doch als Sonderbeitrag eine Art Phantomgestalt angenommen. Die Diskussion ums Gesundheitssystem wird durch die Vermehrung von solchen Phantomen nicht erleichtert. Immerhin ist mit dem Sonderbeitrag die Parität endgültig begraben.

Noch vor sehr kurzer Zeit zählte die hälftige Finanzierung der Sozialbeiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Wesen des Sozialstaats. Nun aber sind unter dem Titel „Schnupfen“ oder „Beinbruch“ beliebige weitere Belastungen des Arbeitnehmers vorstellbar. „Der Willkür ist Tür und Tor geöffnet“, sagt der Gesundheitsexperte des DGB, Heinz Stapf-Finé. „Gebetsmühlenartig“ hätten die Gewerkschaften darauf hingewiesen. „Aber es interessiert einfach keinen mehr.“

Doch auch das linksliberale Lager liebt die Parität nicht mehr so sehr. „Ohne den Arbeitgeberbeitrag könnten wir endlich über Gesundheit reden und nicht nur über Lohnnebenkosten“, sagt Klaus Jacobs vom Wissenschaftlichen Institut der AOK. Mit Arbeitgeberanteil drohten doch bloß immer weitere Leistungskürzungen und Rechentricks wie beim „Krankengeld“ und „Zahnersatz“ zur Beitragssenkung.

Schon möglich, sagt der grüne Sozialpolitiker Markus Kurth – „gegenwärtig aber sichert die Parität den Lohn“. Eine Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags an die Arbeitnehmer wäre „ein Schiss in die hohle Hand“. Die Arbeitgeber würden sie nutzen, um sofort das Lohnniveau zu drücken. UWI