: Neukölln ist nicht San Francisco
Genau seit einem Monat sorgen die Kiezstreifen in der Stadt für Ordnung. Thomas Kolb und Petra Schubert verwarnen täglich disziplinlose Radler und säumige Hundehalter. Mit Erfolg? Eine Bilanz
VON MIRJAM DOLDERER
„Entschuldigung, haben Sie eine Kennung für Ihren Hund?“ Der kräftige Mann mit den tätowierten Unterarmen und dem kahl geschorenen Schädel ignoriert die Frage. Thomas Kolb lässt jedoch nicht locker: „Wir sind vom Ordnungsdienst Neukölln. Bleiben Sie bitte stehen“, schiebt er freundlich, aber bestimmt nach. Mit grimmiger Miene blickt sich der Angesprochene um: „Fangen die jetzt in Neukölln auch schon an mit so einer Scheiße. Mann, ich komm direkt aus dem Knast. Ich will einfach nur meine Ruhe.“ Kolb beruhigt, erklärt, wird persönlich. „Mensch, wo wohnste jetzt? Und arbeiten?“ Zum Abschluss: „Großer, wenn du jetzt heimgehst, dann denk doch einfach mal über die Kennung für den Hund nach.“
„Gut gelaufen.“ Thomas Kolb verbucht das Gespräch als Sieg. So ein Typ habe schließlich nichts zu verlieren. Dass der einem zuhört, ist ein Erfolg. Die nächste Belehrung gilt der Kollegin: Petra Schubert* hat die L-Sicherung vergessen. Sie hätte sich zwei Meter seitlich von Kolb aufstellen müssen, um ihn notfalls schützen zu können. Doch Schubert wurde bisher weder ausgebildet, noch trägt sie die übliche Bewaffnung. Bis vor wenigen Wochen hat sie als Sozialprüferin in Neukölln gearbeitet.
„Entschuldigung, junge Dame, dies ist ein Gehweg und kein Radweg. Absteigen, bitte.“ Die Angesprochene radelt weiter. Kolb zuckt die Schultern. Was soll er machen, so schnell wie sie ist er nicht. Plötzlich hält die Radfahrerin doch inne, steigt ab und dreht um. „Sie haben Recht, ich muss tatsächlich absteigen“, sagt sie und verschwindet in einem Geschäft. Die Uniform allein macht noch keine Autorität.
Die Reaktionen auf den Ordnungsdienst sind gemischt: Manche leinen schon beim Anblick freiwillig ihre Hunde an – auch wenn sie dies nicht müssten. Andere – vor allem Radfahrer auf dem Gehweg – ignorieren die Aufforderungen schlichtweg. In Bus oder U-Bahn wird der Ordnungsdienst oft mit der BVG verwechselt. Die Fahrgäste zücken ihre Fahrscheine. Am BVG-Blau der Uniform wird es liegen.
Apropos Uniform: Kolb hätte sich etwas Männlicheres, Demonstrativeres als den blauen Anorak gewünscht. „Ne Lederjacke wär schön gewesen.“ So fühlt er sich wie ein Miele-Vertreter. Auch über den Schlagstock, der längs des Oberschenkels baumelt, ist Kolb nicht glücklich. „Das ist ja wie bei der New Yorker Polizei vor hundert Jahren. Dass der da so hängt, das provoziert doch nur.“ Benutzt hat er ihn bisher nicht, obwohl es hier in Neukölln schon mal zu brenzligen Situationen kommen kann. „Manchmal denke ich: Thomas, warum tust du dir das an“, sagt der ehemalige Küchenchef. Dabei wirkt Kolb nicht so, als ob er sich etwas antue. Im Gegenteil: Er scheint es zu genießen, im Kiez für Ordnung zu sorgen; Autorität zu besitzen und gleichzeitig menschlich zu bleiben.
„Entschuldigung, wir sind vom Ordnungsamt. Haben Sie den Müll auf die Straße geworfen?“ Anwohner haben sich über Teppichberge auf dem Gehsteig beschwert. Der Verdacht fällt auf ein nahe gelegenes arabisches Café. Doch der Chef ist dort nicht anzutreffen, und keiner weiß, wann er wieder kommt.
Den Wildwuchs an Müllabladeplätzen zu verhindern ist schwer. Oft wird der Müll bei Nacht rausgekarrt, wenn kein Ordnungsdienst unterwegs ist. Trotzdem ist Kolb stolz auf den Erfolg der letzten Wochen. Immer wieder betont er, wie dreckig die Sonnenallee noch vor vier Wochen war, als er angefangen hat. „Und jetzt, sagen Sie selbst, ist es nicht sauber hier?“, fragt er und klingt wie eine schwäbische Hausfrau. Und tatsächlich: kaum ein Hundehaufen zu sehen, keine Zigarettenstummel auf dem Gehweg.
Regen setzt ein und spült die Passanten in die Hauseingänge. Es wird ruhig, fast schon ein bisschen langweilig für den Ordnungsdienst. Der Ehrgeiz treibt Kolb und Schubert von der einen Straßenseite auf die andere – auf der Suche nach Ordnungsverstößen. Das magere Resultat: noch ein Hund ohne Kennung. Die Halterin murmelt etwas von verloren. Kolb gestattet ihr, zunächst das Essen, das sie in den Händen hält, in die Wohnung hochzubringen. Sie kommt nicht wieder, der angegebene Name war falsch. Gelinkt.
Andere Mieter werden befragt: „Kennen Sie die Frau. Ihr Hund hat vielleicht Tollwut. Ich will sie alle beschützen.“ Die Mieter schicken ihn auf eine falsche Fährte: Eine ältere Dame öffnet die Tür mit verheulten Augen. Ihr Hund sei erst eingeschläfert worden, erzählt sie und setzt an, sich den Kummer von der Seele zu reden. Doch dafür ist gerade keine Zeit. Der Feierabend naht, und Kolb würde zu gern der entlaufenen Hundehalterin auf die Spur kommen. Kollegin Schubert kann ihn schließlich beschwichtigen: „Mach jetzt nicht so einen Wirbel, Thomas. Wir sind doch noch öfters hier.“ Rückzug ins Ordnungsamt.
Dort empfängt der Chef seine vierköpfige Crew. Die schildert ihm die Erlebnisse des Tages. Auch er beschwichtigt noch mal: „Wir sind hier in Neukölln. Nicht in den Straßen von San Francisco. Nicht zu ehrgeizig werden.“
*Name geändert