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Archiv-Artikel

Radio killed the German Popstar

Bei ihrer Pressekonferenz in Berlin probte die Initiative „Musiker in eigener Sache“ den demonstrativen Schulterschluss für eine deutsche Radioquote. Doch bei der anschließenden Anhörung mit öffentlich-rechtlichen und privaten Radiovertretern im Deutschen Bundestag zerfaserten die Argumente

Kreativität würde „wegrationalisiert“, klagten Reinhard Mey und Peter MaffayAn deutschen Texten richteten sich die Verzweifelten wieder auf, so Xavier Naidoo

VON ANDREAS MERKEL

Auf dem Podium im Grand Hyatt begrüßte Jim Rakete, Wortführer der Initiative „Musiker in eigener Sache“, den größten Zusammenschluss von deutschen Popstars „seit dem Bandprojekt für Afrika“: An seiner Seite saßen Max Herre neben Yvonne Catterfield, Inga Humpe neben Xavier Naidoo, Hartmut Engler neben Till Brönner und Udo Lindenberg zwischen Peter Maffay und Reinhard Mey. Quer zu allen Genres und Zielgruppen waren sie zusammengekommen, um zwei Stunden vor der Anhörung im Deutschen Bundestag auf einer Pressekonferenz noch einmal mit allem Nachdruck für ihr Anliegen zu trommeln: eine Radioquote für deutsche Popmusik.

Vor dem jeweils persönlichen Karriere-Hintergrund wurde diese Forderung mit altbekannten Argumenten und eindringlichem Lamento untermauert. „Immer wieder bekommen wir von Radiomoderatoren zu hören: Wir lieben euer Album, können es aber nicht spielen“, beschwerte sich etwa Inga Humpe über die deutschen Radiosender, die in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und aufgrund von völlig „irrsinnigen“ Marktforschungsumfragen dem deutschen Pop keine Chance mehr gäben.

Der nehme nur noch einen minimalen Programmanteil ein. Wie groß dieser jetzt genau sei – Humpe nannte die Zahl 1,7 Prozent, die ARD verwies später im Bundestag auf mehr als 10 Prozent –, darum sollte es den Rest dieses langen Debattentages immer wieder gehen.

Max Herre und Xavier Naidoo betonten, wie wichtig ihnen die deutsche Sprache sei, als Kulturgut und für die Verzweifelten da draußen, die sich an deutschen Texten wieder aufrichten könnten. Till Brönner empörte sich vor dem Hintergrund zahlreicher Auslandserfahrungen darüber, dass es skandalös sei, wie man hier in Deutschland mit seinen Künstlern umgehe, „und ich werde mir das auch nicht mehr lange mit ansehen, ja?“

Reinhard Mey und Peter Maffay malten die Gefahren einer Monokultur an die Wand, in der „Kreativität wegrationalisiert“ würde. Und Udo Lindenberg („Ich für mich brauch die Quote nicht. Was ich Neues mache, entnehmt ihr bitte weiterhin der ‚Tagesschau‘ und den Literaturzirkeln“) wies darauf hin, wie viel Talent da draußen „im Gebüsch“ verkümmere: „Wie dusselig kann ein Land sein, das seine Denker und Dichter, seine Künstler und Macher immer nur in den Arsch tritt!?“

Darüber hinaus wurde noch einmal klargestellt: Es ginge nicht um Tümelei, sondern vielmehr um eine größere kulturelle Vielfalt und die Wahrnehmung der eigenen Rechte angesichts des Kulturauftrags der Radiostationen: Wenn man diese Rechte jetzt nicht einfordere, komme es zu folgenschweren Wettbewerbsverzerrungen, die sich aus den anstehenden Gats-Verhandlungen ergeben würden.

Für juristische Bedenken, weitere Konkretisierungen (geht es bei der Quote um deutschsprachigen oder deutsch produzierten Pop?) oder kritische Fragen der kritischen Feuilleton-Journaille, die das Vorhaben am gleichen Tag im flammenden Leitartikel-Stil durchweg abgelehnt hatten, blieb dann kaum noch Zeit (lediglich ein Kollege verstieg sich zu der Forderung, er hätte heute vom Podium „noch keine klare Abgrenzung von den Nazis in Sachsen“ gehört, die ja auch eine Quote forderten. Er erntete dafür die geballte Empörung von Claudia Roth und Ulla Meinecke aus dem Publikum). Dann ging es eilig und in bester Klassenfahrt-Solidarität gemeinsam mit dem Bus in den Bundestag: „Immer schön provo und frischwärts bleiben“ (Lindenberg).

Dort gab es im Sitzungssaal 3.101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses bei der Anhörung vor dem Kulturausschuss und der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ gleich von Beginn an heftigen Gegenwind von den geladenen Radiovertretern. NDR-Hörfunkdirektor und Vorsitzender der ARD-Hörfunkkommission, Gernot Romann, sowie Hans-Jürgen Kratz, Vizepräsident und Vorsitzender des „Fachbereichs Hörfunk im Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation e. V.“, gefielen sich in ihrer Rolle als Bad Guys vor einem enthusiastisch die Debatte verfolgenden Publikum, das von den Sitzungsleiterinnen Monika Grieffahn und Gitta Connemann immer wieder zur Ruhe gerufen werden musste.

In einer quasi öffentlich-rechtlich-privaten Front lehnten Romann und Kratz unisono jede Forderung nach einer Quote oder auch nur einer Selbstverpflichtung zum Abspielen von Deutschpop in ihren Radioprogrammen rundheraus ab. Das seien vollkommen „kontraproduktive und unpraktikable“ Einmischungen in ein solidarsubventioniertes System, in dem das einzige „Kriterium der Hörer“ sei, meinte Romann. Außerdem würde das die verfassungsrechtlich festgeschriebene Programmautonomie verletzen. „Und wo soll die Grenze gezogen werden? Sollen demnächst italienische Opern auf Deutsch gesungen werden?“

Kratz dagegen malte die wirtschaftlichen Folgen für die privaten Radios an die Wand, denn „hier geht es knallhart ums Geschäft“. Tenor seiner Rechnung: Wenn man gezwungen würde, das zu spielen, was keiner hören wolle, gingen nach allen Regeln der freien Marktwirtschaft bald die Lichter aus. Die Privaten müssten dichtmachen, Arbeitsplätze gingen verloren.

Romann und Kratz betonten zwar beide die Notwendigkeit des Dialogs mit der Musikindustrie und den Musikern. Aber dieser Dialog bestand in den folgenden zwei Stunden im Wesentlichen aus gegenseitigen Schuldzuweisungen angesichts der Krise der deutschen Popmusik, aus wechselseitiger Inanspruchnahme der gleichen Argumente (Stichwort: Programmvielfalt), aus Streitereien um Zahlen (gibt es nun 600 oder 320 Radiosender, von denen nur sechs das neue „2Raumwohnung“-Album spielen wollen?), aus heillosen Differenzierungen angesichts nationaler (was ist deutsch?) und kulturell-ästhetischer (was ist gut und setzt sich durch?) Befindlichkeiten – bis hin zu der Frage, wie wichtig Radio heute denn überhaupt noch sei und ob eine Quote nicht eher schade (wenn sie die Werke eines Künstlers zu Tode dudelt wie bei Phil Collins).

Während der als Sachverständige herangezogene Jacques Toubon, ehemaliger Kulturminister aus dem Quotenparadies Frankreich, dieser ganzen Veranstaltung mit seinem Sepp-Blatter-haften Charme wie ein wohlwollender Schirmherr beiwohnte, offenbarte die Debatte einen Tiefpunkt demokratischer Streitkultur, in dem sich beide Seiten zunehmend beleidigt-polemisch auf ihre Positionen zurückzogen.

Die Initiative der „Musiker in eigener Sache“ scheint das komplexe Thema denkbar ungeschickt angegangen zu haben. Weil sie ein vollkommen berechtigtes Anliegen – die brenzlige Situation der deutschen und europäischen Musikindustrie, die bei den kommenden Gats- Verhandlungen mit den USA ähnlich ins Hintertreffen zu geraten droht, wie das laut Wim Wenders der Filmbranche fast passiert wäre – mit ästhetischem und nationalem Pathos („gegen den ganzen US-Scheiß in den Hitparaden!“) und indifferenten (deutschsprachig oder deutsch produzierter Pop?) bis unerfüllbaren Forderungen vermischt hat, uferte die Debatte hoffnungslos aus.

Übrigens: Eine Radioquote nicht nur für deutschsprachige, sondern lediglich für „in Deutschland produzierte Popmusik“ stellt laut Europarecht einen Protektionismus zulasten anderer Länder dar, der wohl nicht durchsetzbar wäre.