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Archiv-Artikel

Der Katalog ist gelesen

Der Quelle-Katalog bediente die Neugier der Nachkriegsdeutschen auf den aufkeimenden Konsum. Doch mit der Nachkriegszeit, dem keimenden Konsum und also auch dem Katalog ist es jetzt vorbei

VON JAN FEDDERSEN

Firmenintern wird das Werk „Big Boss“ genannt, manche heißen es angeblich auch „Wuchtbrumme“ – landläufig ist dieses reich illustrierte Buch unter dem Namen „Quelle-Katalog“ bekannt. Mit seinem Erscheinen soll es nun ein Ende haben, das ist, popkulturell gesehen, als die wichtigste Nachricht überliefert worden, als die ökonomischen Probleme des Karstadt-Quelle-Konzerns jüngst bekannt wurden. Womit man sich verabschieden kann von einem der wichtigsten medialen Transportmittel der Nachkriegsmittel – wichtig, denn es half, den Deutschen die Segnungen des Konsums nahe zu bringen und eine Feinfühligkeit für die schönen, meist ja warenförmigen Dinge des Lebens zu entwickeln.

1954 war es, als das frühere Ladenmädchen Grete Lachner im Fränkischen begann, ihre Kaufhausmacht aufzubauen. Nachkriegszeit war es, ihr Mann, der dem Schöngeistigen (Rilke, Rembrandt, Reger) zugeneigte Gustav Schickedanz, musste sich seiner Nazivergangenheit wegen noch aus dem Geschäftsleben zurückhalten, als der erste Katalog erschien – eine layouterisch noch frugal gehaltene Broschüre über die Waren, die die Menschen im zerrütteten Westdeutschland benötigen könnten. Gustav Schickedanz blieb dem Schönen, Wahren, Guten erhalten – seine Frau kümmerte sich um Alltägliches, also um Waren.

Mitte der Sechzigerjahre hatte sich das Label durchgesetzt, die Konkurrenz von Neckermann und Otto war längst nicht so wirkungs- und fantasiemächtig wie das Haus Schickedanz aus Fürth. Der Quelle-Katalog war damals die wichtigste Waren- und Stilbibel der Nation. Ihre Leser waren Menschen (vor allem Frauen), denen der Gang in ein gewöhnliches Kaufhaus zu weit war oder der Aufenthalt dort selbst zu anstrengend. Daheim, in Küchen oder Wohnzimmer, konnte die deutsche Frau lernen, dass das wichtigste Arbeitsmittel im Heim und am Herd nicht der Kittel, sondern die Schürze ist – als Übergangslösung, ehe die deutsche Frau begriff, dass diesbezügliche Einkleidungen immer an Mägde erinnern, nicht an moderne Frauen.

In Gestalt des Quelle-Katalogs jedenfalls konnten sich die Deutschen mit der immer differenzierter werdenden Warenwelt in Ruhe, ja: gemütlich auseinandersetzen. Ob Lebkuchen der verschiedensten Sorten, Autoreifen, gern Polstermöbel, Flurlampen, Unterwäsche oder – ein ausgestorbenes Wort – Kurzwaren: Jener Katalog war der bild- und texthaft gewordene Lebensroman der jungen deutschen Demokratie, und die Beteiligten waren begierig darauf, eben so viel Geld zu verdienen, um sich aus dessen Regalen bedienen zu können. Alles sah toll, bunt, verheißungsvoll und begehrenswert aus: schöne Dinge für das Leben jenseits deutschen Pathos’ oder sonstiger Erbaulichkeiten. Nichts als Waren, Waren, Waren.

Weshalb aber der Quelle-Konzern? Weil Grete Schickedanz, selbst Spross aus ärmlichen Verhältnissen, ihre Fahrten in die Provinzen auch als Scoutin nutzte: herauszufinden, was die Kundschaft will. Sie wusste, dass das konsumfreudige Publikum sich nur mühselig an moderne Dinge herantraut – und nicht überfordert werden möchte.

Der Quelle-Katalog sei, so Hans-Magnus Enzensberger in seinem Verdikt aus dem Jahre 1960, ein Symbol für die „kleinbürgerliche Hölle“, in der das Gros der Deutschen neuerdings lebte. Das mag heute als Reflex eines Intellektuellen genommen werden, der in den Fünfzigern keinen demokratisch-kapitalistischen Aufbruch erkennen konnte, keine Modernisierung der Lebensformen – sondern bloß eine Dekade, in der der deutsche Geist sich nur noch auf abschüssiger Bahn fand.

Kleinbürgerliche Hölle? Heutzutage ist von ihr keine Rede mehr, Konsum wird nicht als solcher kritisiert, sondern nur noch jener der falschen Waren. Und dies zu lehren, daran scheiterte der Quelle-Katalog zusehends. Alles wirkte, spätestens seit auch der Osten der Republik konsumentiell die ersten Lehrstunden absolviert hatte, einförmig und monochrom. Die Käufersegmente haben sich diversifiziert, die Kompendien von Ikea und Manufactum sind bereits Resultate jener Lifestylefächerung, die jedes moderne Land mit gewissen Wohlstand auszeichnet: Ikea verkauft mit seinen Waren auch gediegene Modernität, wofür skandinavisches Flair immer hilfreich ist, Manufactum die Aura von solidem, aber geschmackvollem Luxus.

Dass Karl Lagerfeld für das Kaufhaus Quelle designt, ja, dass Claudia Schiffer auf dem Cover der jüngsten Ausgabe des Katalogs prangt: Auch dies waren und sind keine guten Zeichen. Beide irgendwie allenthalben démodé – so wie das Familieneinkaufsmodell der Marke Quelle.