Moskau setzt Energien frei

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Die Ratifizierung des Kioto-Protokolls durch Russland ist überraschend in greifbare Nähe gerückt. Präsident Wladimir Putin hat Regierungschef Michail Fradkow angewiesen, die Verabschiedung des Vertrages zur Begrenzung von Treibhausemissionen an die Duma zur Ratifizierung weiterzuleiten. Stimmt das Parlament zu, stünde dem Inkrafttreten nichts mehr im Wege. Nach dem Rückzug der USA aus dem Vertragswerk hängt dessen Implementierung nur noch von der Zustimmung Moskaus ab.

Die handzahme Mehrheit des Kremls in der Duma wird den Wünschen Putins Folge leisten, sollte der es tatsächlich ernst meinen. Bislang hatte Russland stets gegen das Protokoll argumentiert. Vor allem die Industrie befürchtet durch die Auflagen des Protokolls höhere Produktionskosten. Putins Wirtschaftsberater Andrei Illarionow steuerte gar eine Kampagne: Das Vorhaben des Kremls, bis 2010 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu verdoppeln, sei mit Kioto nicht möglich. Die internationale Gemeinschaft führe einen „totalen Krieg“ gegen Russland. In einem Brief an den Kremlchef legte Regierungschef Fradkow Ende August noch eine Expertise vor, die dem Protokoll unterstellt, „auf keiner wissenschaftlichen Grundlage zu fußen“. Hinter der eiligen Entscheidung des Kremls wittert Illarionow daher eine politische Geste gegenüber der EU. Putin hatte im Mai gegenüber Brüssel angedeutet, Moskau könne zum Einschwenken bereit sein, wenn die EU den Beitritt Russlands zur WTO unterstützt.

Laut einer Studie des Oxford Institute for Energy Studies sind die wirtschaftlichen Vorbehalte Russlands unbegründet. Insgesamt könnte es langfristig 22,6 Milliarden so genannte Kohlenstoff-Dollars verdienen. Auf den Energiesektor entfielen davon allein sechs Milliarden. Für jeden Dollar kämen noch drei bis vier Investitionsdollars ins Land, um die Infrastruktur zu modernisieren. Laut Protokoll können Maßnahmen zur „Joint Implementation“, zur gemeinsamen Umsetzung, unter den Vertragsstaaten stattfinden. Ein deutsches Unternehmen könnte so die Wärmeversorgung einer russischen Stadt modernisieren und sich die CO2-Reduktionen für den deutschen Emissionshandel als Zertifikat anrechnen lassen. Die Deutschen hätten so ihre Klimaschuld günstig getilgt, Russland eine Kommune billig saniert.

Igor Leschukow, Direktor des Instituts für Internationale Angelegenheiten in Sankt Petersburg, vermutete im Juli hinter der zögerlichen Haltung des Kremls indes auch eine Frage des Verteilungskampfs: Wer wird von den Einnahmen profitieren? Russlands Elektrizitätsmonopolist RAOEES steht vor einer umfangreichen Neuordnung. „Wenn geklärt ist, wer was aus der Privatisierung des Elektrizitätssektors erhält, wird Russland auch Kioto unterzeichnen.“ Der Widerstand, so Leschukow damals, resultiere aus Meinungsverschiedenheiten zwischen RAOEES-Chef Anatoli Tschubais und Putins Berater Andrei Illarionow. „Sobald Moskau sicher sein kann, dass die richtigen Leute auch das Richtige erhalten haben, geben sie grünes Licht.“