Einsame Geister

Heute beginnt die „7. Türkische Filmwoche Berlin“. Viele der Filme handeln von Fremdsein und Entfremdung – die Figuren sind allein unterwegs, egal ob in der Großstadt oder an der Peripherie

VON ANDREAS RESCH

Dass mit „Drei Affen“ von Nuri Bilge Ceylan und „Recep Ivedik 2“ zurzeit gleich zwei türkische Filme erfolgreich in deutschen Kinos laufen, ist wohl mehr Zufall als Tendenz. Denn auch wenn türkische Filme in ihrem Entstehungsland äußerst beliebt sind –2008 lag ihr Marktanteil bei 60 Prozent –, finden nur wenige den Weg nach Deutschland. „Drei Affen“ und „Recep Ivedik“ stehen dabei repräsentativ für die zwei Säulen des türkischen Gegenwartskinos: ambitionierter Arthouse-Film auf der einen Seite, kommerzorientierte Massenware auf der anderen.

Wer eher an der ersten Kategorie interessiert ist, kann bisher Versäumtes im Verlauf der heute beginnenden „7. Türkischen Filmwoche Berlin“ nachholen. Gezeigt werden vor allem Filme, die, wie Selcuk Sazak, Leiter der Filmwoche, es formuliert, „im Spannungsfeld zwischen Box Office und Filmkunst stehen“. Filme, die von einem zerrissenen, heterogenen Land erzählen, von einem Land, dessen Einwohner einander mitunter so fremd zu sein scheinen wie die Bewohner unterschiedlicher Galaxien.

Von dieser Fremdheit, speziell von der, die sich zwischen Zentrum und Peripherie breitmacht, handelt „Gitmek – My Marlon & Brando“ von Hüseyin Karabey, ein auf wahren Begebenheiten basierender Film über eine Schauspielerin, die sich kurz nach Beginn des US-amerikanischen Angriffs auf den Irak von Istanbul in Richtung Nordirak aufmacht, um sich dort mit ihrem Verlobten zu treffen. Rührend ist diese junge Frau namens Ayca in ihrer Kindlichkeit, zudem offen für alles, was ihr auf ihrer wundersamen Reise begegnet. Als ihr ein Taxifahrer im Grenzgebiet vom Krieg erzählt, antwortet sie, naiv, wie sie nun einmal ist, auch das hektische Leben in Istanbul sei ja eine Art permanenter Kriegszustand. In einer der schönsten Szenen dieses Films sieht man sie mitten im Nirgendwo auf einem Volksfest tanzen, während Militärfahrzeuge auf dem Weg ins Kriegsgebiet vorbeifahren.

Je weiter sich Ayca von Istanbul entfernt, desto mehr wird sie zum Alien. Ihr zunehmender Verhüllungszustand – erst der Schleier, später der Umhang, der es dennoch nicht schafft, ihrem Körper die Konturen zu nehmen, was ihr beinahe zum Verhängnis wird – ist ein Spiegel ihrer fortschreitenden Entfremdung, mit der klarzukommen Ayca zusehends schwerer fällt.

Was „Gitmek – My Marlon & Brando“ trotz kleiner dramaturgischer Schwächen zu einem besonderen Film macht, ist der scharfe Blick auf das Politische durch das Private, Persönliche hindurch. Ganz ähnlich wie in „Sonbahar – Herbst“ von Özcan Alper, einem Film, der in ruhigen, fast schon meditativen Bildern von einem politischen Gefangenen, Yusuf, erzählt, der aufgrund einer schweren Lungenerkrankung aus dem Gefängnis entlassen wird – und vergeblich versucht, in seinem Heimatdorf wieder Fuß zu fassen.

Der Zustand des von Beginn an Todgeweihten erzählt sich über Blicke, Gesichtsausdrücke und Gesten. Das stetig heftiger werdende Husten, das die Stille des Berglebens durchdringt, ist dabei Gradmesser für Yusufs sich verschlechternde Gesundheit, die zerklüfteten, nebligen Berglandschaften des türkisch-georgischen Grenzgebietes sind gleichsam Bebilderung seines Seelenzustands.

Ein Geist ist dieser Mann, der im Haus seiner alten Mutter Kisten auf der Suche nach der verlorenen Zeit durchkramt: Seine Jugendliebe ist mittlerweile verheiratet, der Vater tot, die Geschwister in alle Winde zerstreut. Nur sein Jugendfreund Mikhail ist ihm geblieben – und die fragile Freundschaft zur Prostituierten Era, wobei die beiden nie so recht zueinanderfinden. Ein schöner, trauriger Moment ist das, wenn man Yusuf und Era in einer Parallelmontage vor dem Fernseher sieht, wie sie, jeder für sich, die selbe Sendung im Fernsehen anschauen.

Einsamkeit ist ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Filme zieht – besonders eindrucksvoll in „Issiz Adam – Einsam“ von Cagan Irmak, dessen Protagonist Alper auf den ersten Blick das krasse Gegenteil von Yusuf zu sein scheint: lebensfroh, extrovertiert, ein Partymensch, der sich im Istanbuler Szeneviertel Beyoglu Nacht für Nacht auf die Jagd nach einem One-Night-Stand begibt.

Wie einsam und verzweifelt Alper tatsächlich ist, offenbart sich erst allmählich, als er sich in die erfahrene Ada verliebt und zum ersten Mal in seinem Leben versucht, eine ernsthafte Beziehung zu führen – und scheitert. Wunderschön komponierte Einstellungen und eine Tonebene, die durch den Einsatz von kitschiger Musik und sich zum Teil überlagerndem On- und Off-Ton eine rauschhafte Atmosphäre schafft, machen „Issiz Adam – Einsam“ zu einem Kinoerlebnis, das lange nachwirkt.

„7. Türkische Filmwoche Berlin“. Vom 26. 3. bis 4. 4. in den Kinos Broadway, Delphi und Babylon (Kreuzberg). Programm unter www.tuerkischefilmwoche-berlin.de