strafplanet erde: im vertrauen von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Ein Mann und eine Frau, einander gänzlich fremd, selbst den Namen des anderen kennen sie nicht, halten sich gleichzeitig in einem Zweizimmer-Appartement eines Romantik-Hotels auf – was für Geschichten ließen sich daraus spinnen, wenn man zu denen gehörte, die mit der schöpferischen Disziplin und unerschütterlichen Gabe gesegnet sind, Geschichten auszuspinnen. Ein Blind Date mit anschließender wilder Nacht oder erotische Konfektionsware mit Körbchengröße 0190 und Penisverlängerung; ein Horror-Kammerspiel der subtilen Art oder eine Ekel erregende Schockerschlachterei; ein holterdipolternder Slapstickreigen oder ein screwballrundes Dialoggefecht. In welches dieser Genres die folgende wahre Begebenheit einzuordnen wäre, sei dahingestellt, ich gebe nur die Prosa der Wirklichkeit wieder, eine Geschichte, die mir aus zuverlässiger Quelle zugetragen wurde.

Erschöpft vom All-Inclusive-Wellness-Stretching hatte sich die Frau ins Schlafgemach des Appartements zurückgezogen, um vor dem Abendessen auszuruhen, ihr Mann garnierte unterdessen den Kurzurlaubstag mit einem Spaziergang. In einer Zeitschrift blätternd, hörte die Frau, wie jemand die Tür öffnete. Aha, dachte sie den nächstliegenden Gedanken der Welt, der Gatte ist schon zurück. In gemütlicher Stimmung blieb sie jedoch liegen, wunderte sich nicht eine Sekunde darüber, dass kein Gruß sie hier im benachbarten Zimmer erreichte. Diese Grußlosigkeit war keine Lieblosigkeit, sondern vielmehr Ausdruck der Tatsache, dass nach etlichen Ehejahren sprachlose Kommunikationsformen überhand nehmen können. Ohne weiter darauf zu achten, hörte sie von nebenan das Abstreifen des Mantels, des Sakkos und der Schuhe, die irgendwo auf dem Teppich landeten. Dann ging die Badezimmertür. Er würde sich noch etwas frisch machen wollen, bevor er sich für das Candlelight-Dinner umzöge, wäre der Frau durch den Kopf gegangen, wenn nicht ihr Unterbewusstsein längst dieses Wahrnehmungspartikel für sie verarbeitet und erledigt hätte.

Plötzlich hörte sie aus dem Bad eine gigantische Furz-Fanfare, Ausdruck des Wohlbehagens und zugleich akustisches Signal einer Befreiung und Entlastung, den genussreichen, effektvollen Abgang einer Flatulenz, der die Frau sofort dazu animierte, die Idee aufzunehmen und ihrerseits fortzusetzen, indem sie ebenfalls ihrem Darm Luft entsteigen ließ, und zwar nicht zu knapp, sozusagen als nonverbale Antwort und Zeichen der Vertrautheit.

Jetzt ließ sich eine Männerstimme vernehmen, eine, in der Erschrecken mitschwang, ein schockiertes Stammeln, das sich einem hysterischen Anfall näherte: „Ist da jemand? O Gott, ja, entschuldigen Sie, das kam mir doch, oha, das kam mir gleich irgendwie komisch vor, Verzeihung, die fremden Sachen hier, oh, ach, mein Zimmer ist wohl nebenan, links oder rechts, ja, du meine Güte, ich bin ganz falsch hier, bitte entschuldigen Sie.“ Ohne ein Wort des Abschieds klaubte der Mann ohrenscheinlich seine Kleidungsstücke zusammen, Türenknallen, Stille, er war verschwunden.

Eine Stunde später im Speisesaal des Romantik-Hotels waren alle Tische besetzt.