silke burmester : Gruner + Jahr = Inzest
Wenn in den 70er-Jahren den Produktstrategen die Zellen grau wurden, hatten sie einen cleveren Weg, kostengünstig an publikumswirksame Slogans zu gelangen: In den Medien und auf den Verpackungen ihrer Produkte lobten sie einen Wettbewerb um den besten Werbespruch aus. Mit einem für sie – im Vergleich zu den Kosten für eine Werbeagentur – günstigen Preisgeld.
Auch beim Verlag Gruner + Jahr hat man sich dieser Tage einer Idee erinnert, die immer dann gut kommt, wenn in den oberen Etagen die Einfälle – vielleicht wegen der sauerstoffarmen, dünnen Luft – rar werden: ein Konzeptwettbewerb für die Beschäftigten.
Nun ist es nicht so, dass das Personal bei Gruner + Jahr den ganzen Tag am Geländer steht und Pirouetten dreht oder den vorbeiziehenden Schiffen beim Schaukeln zusieht. Das tut es a) nicht, weil vorwiegend nur Mitgliedern der gehobenen Angestelltenkaste Büros mit Hafenblick gewährt wurden und b), weil die Herrschaften so dermaßen malochen, dass kaum noch Zeit für den Friseur bleibt. Bei manchen zumindest. Denn wenn der Verlag die Belegschaft auch nicht so radikal ausgedünnt hat, wie andere Häuser das getan haben, so bedeutet der Ausbau einer Marke wie Brigitte nicht notwendigerweise eine Neueinstellung von irgendwem. Solange die Mannschaft noch einigermaßen bei Kräften ist, kann sie neben dem 14-täglichen Mutterblatt auch gleich noch Brigitte Woman und Cookie mitfabrizieren. Genauso, wie die Amica-Redaktion Amico stemmt, die Merian-Crew Auftragshefte für die Tourismusbranche raushaut oder die Herren von Men’s Health permanent Ratgeber auf den Markt werfen. Meutern? In diesen Zeiten?
Fast möchte man meinen, es sei geradezu liebevoll vom Zeitschriftenvorstand Bernd Kundrun, die Belegschaft via einer so tollen Mitmach-Aktion mit einem andernorts kaum mehr kultivierten „Wir-Gefühl“ zu bedenken. Vor der Kulisse hunderter in den letzten Monaten arbeitslos gewordener JournalistInnen grenzt diese interne Superheft-Suche hingegen an Ironie, kommen doch außenstehende Genies gerade mal bis zum Pförtner. Außerdem, wie geht es dann weiter? Es ist doch nicht anzunehmen, dass für irgendein neues Konzept auch nur ein neuer Mitarbeiter eingestellt wird. Das werden die angestellten Redakteure mit leisten müssen. So, wie es unter Chefredakteuren als echte Luschen-Nummer gelten muss, nur ein Blatt zu verantworten. Der krisenresistente Chefredakteur konzentriert sich nicht darauf, ein Heft vernünftig zu machen, nein, er zeichnet nebenher noch für mindestens ein weiteres Objekt, bei Bauer auch gern mal für weitere drei Hefte, verantwortlich. Vielleicht sehen deshalb alle Zeitschriften so gleich aus.
Und vielleicht gibt es deshalb nicht mehr die tollen Slogan-Wettbewerbe in den Publikationen. Vielleicht ist den Produktherstellern das Umfeld einfach zu langweilig.