: Bleibt alles anders
Der Bundesliga-Tabellenletzte Hertha BSC Berlin spricht seinem Trainer das Vertrauen aus – für genau zwei Spiele. Gewinnt Huub Stevens auch diese nicht, wird er doch noch zum fliegenden Holländer
aus Berlin MARKUS VÖLKER
Der Berg kreißte, und er gebar einen Kiesel. Der alte Trainer ist der neue. Huub reloaded. Stevens im Director’s Cut. Hertha-Manager Dieter Hoeneß verfuhr am Montagabend nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Also bleibt sein Protegé im Amt. Beide sind symbiotisch miteinander verbunden. Eine Trennung fällt immens schwer – auch wenn die Situation noch so verfahren ist. Zur Erinnerung: Hertha BSC Berlin ist neun Bundesligaspiele ohne Sieg, steht am Tabellenende und ist in der ersten Runde des Uefa-Pokals gegen einen Vereins namens Grodzisk ausgeschieden. Liegt in Polen, das Grodzisk.
Hertha steckt also richtig drin im Schlamassel. Der neue Alte hat nun ein Ultimatum bekommen. Zwei Spiele Galgenfrist. Zweimal Rostock. Am Samstag Bundesliga. Am Dienstag Pokal. Verliert der alte Neue, dann kommt ein neuer Neuer. Man darf das Ultimatum übrigens nicht Ultimatum nennen. Das hat Herr Hoeneß verboten, weil es sich um eine „Vereinbarung“ mit dem Coach handeln soll. Ultimatum klingt nach Diktat, nach Pistole auf der Brust. Eine Vereinbarung betont hingegen die Einvernehmlichkeit. Gut so. Mehr Stil braucht das Land. Obsolet scheint in Berlin das eilige Gebot des Heuerns und Feuerns. Doch damit dürfte es so weit auch nicht mehr her sein. Im osmotischen Prozess des Informationsflusses bildete sich jetzt die Nachricht, Stevens verzichte bei Vertragskündigung auf einen Teil seiner Abfindung. Bestätigen wollte das keiner vom Krisenklub. Droben saßen sie auf dem Podium und gaben vor, dies sei derzeit nicht Gegenstand der Diskussion.
Was war das doch für ein absurdes Theater: Zwei Tage brütet Großmeister Hoeneß über der Personalie. Zermartert sich den Denkapparat. Vor der Tür observiert der Boulevard, allzeit bereit, ein Gerücht als Schlagzeile zu verkaufen. Hoeneß wringt also in seinem Schmargendorfer Domizil Hirnwindung nach Hirnwindung aus, um dann doch zurück auf Los zu gehen. Zur Bekanntgabe der Nichtentscheidung bedurfte es einer Superduperpressekonferenz, die N24 live übertrug und zu deren komparsenmäßiger Komplettausstattung circa zwölf Kamerateams anrückten sowie drei Dutzend Journalisten. So überfüllt war der Presseraum des Kellerkindes noch nie. Selten wurde ein Info-Vakuum, eine leere Nachricht, derart gut verkauft wie an diesem Tag (siehe Bericht auf der Medien-Seite).
Die Reporter verschiedener Blätter harrten stundenlang in der Kälte aus, von einem Kordon aus Ordnern daran gehindert, an die Stätten der Krisensitzung heranzutreten, um dann doch nur kalten Kaffee serviert zu bekommen. Entsprechend kommentieren sie das Geschehen. Die Berliner Zeitung schreibt: „Hertha BSC hat einen alten Besen für neu verkauft, das muss man erst mal schaffen. Sie haben also den alten Stevens ein bisschen entlassen und durch einen Stevens ersetzt, der ein bisschen neu ist. Das zumindest ist die Botschaft, welche die Öffentlichkeit und möglichst auch die Mannschaft erreichen soll. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man die Hertha für ihre Kreativität bewundern. Aber es ist eine Kreativität der Verzweiflung.“ Und die SZ fühlt sich beim Anblick der Ordner an „Grenzer“ erinnert.
Und Bild? Das Blatt führte seine Leser gekonnter in die Irre, als es Hertha BSC je könnte. Auf Werbetafeln verkündeten sie freimütig den Rauswurf von Stevens. Sie zogen nicht in Betracht, dass Hoeneß die hohe Kunst des Aussitzens erprobt. Es gibt darin große Interpreten, den Altkanzler oder den Neukanzler. Mal sehen, wie weit es der Hertha-Manager im Ausblenden der öffentlichen Meinung bringt. Er baut in seiner Taktik, nennen wir sie die Zementierung des Status quo, auf den Formaufschwung des Brasilianers Marcelinho, der das Team im Innersten zusammenhält. Er baut auch auf die Formschwäche der Rostocker, die sich ja ebenfalls unten in der Tabelle herumtreiben und den Trainer bereits ausgewechselt haben.
Was der Aufschub an Positivem mit sich bringt, ist eine gewisse Klarheit für alle Beteiligten. Jeder weiß: Wenn A, dann B. Aber was passiert, wenn Stevens die doppelte Hansa-Probe besteht und danach wieder in Serie verliert? Herr Hoeneß, bitte krisenintervenieren Sie!
siehe flimmern und rauschen