: „Ich sehe vier Blöcke, die die Weltwirtschaft neu konfigurieren“, sagt Daniel Goeudevert
Nach einer Übergangsphase zur echten Globalisierung wird die Konkurrenz einzelner Staaten weniger wichtig
taz: Herr Goeudevert, die Tarifverhandlungen bei Volkswagen (VW) werden in der kommenden Woche fortgesetzt. Die Arbeitgeberseite hat zum Auftakt sehr dramatische Worte gefunden und gesagt, es gehe diesmal um alle 170.000 Arbeitsplätze in sämtlichen deutschen Werken. Steckt diesmal mehr dahinter als die übliche Verhandlungsrhetorik?
Daniel Goeudevert: Das muss ernst genommen werden. Denn VW hatte bereits zu meiner Zeit dort vor zehn Jahren 30.000 Mitarbeiter zu viel. Damals wurde die Vier-Tage-Woche eingeführt, damit niemand entlassen wird. Man darf aber nicht vergessen, dass die Neunziger die goldenen Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren. Die Märkte wuchsen weltweit, der Umsatz stieg. Das hat die internen Fragen bei VW vorübergehend ad acta gelegt. Vielleicht sind wir diese auch damals nicht konsequent genug angegangen.
Also ist es richtig, dass das Management jetzt die Personalkosten senken will, um nicht das ganze Unternehmen zu gefährden?
Das ist keine Schwarzmalerei. Die Konkurrenz hat in den vergangenen zehn Jahren nicht geschlafen. Einige haben sich nicht für die Vier-Tage-Woche entschieden, sondern haben abgespeckt. Natürlich wird man auch bei VW einen Kompromiss finden, aber das Unternehmen wird nicht unverändert aus den Tarifverhandlungen hervorgehen. VW kann weiterhin eine führende Rolle in der Welt spielen, aber das geht nicht ohne Einsparungen und schmerzhafte Entscheidungen.
Solche Aussagen erwartet man eher von einem konservativen Manager, aber sie gelten doch als Querdenker und Visionär.
Die Welt hat sich verändert, und es hilft nicht, sich nur etwas anderes zu wünschen. Ich würde als VW-Vorstand heute auch anders reden als vor zehn Jahren. Manchmal muss man die Realität sehen, wie sie ist. Es wäre nicht gut für VW, nur bei idealistischen Gedanken zu bleiben
Was ist denn heute anders?
Vor zehn Jahren war die Verlagerung der Produktion nach Osteuropa noch nicht möglich, jetzt ist die Situation in Tschechien, Polen oder Lettland eine andere. Ich traue VW zu, wieder eine außergewöhnliche Lösung zu finden – so wie die Vier-Tage-Woche damals. Aber das geht nur, wenn die Mitarbeiter bereit sind, die Ernsthaftigkeit der Situation anzuerkennen.
Gilt dieser Handlungsdruck für die gesamte deutsche Industrie?
Ja, wir sind volkswirtschaftlich in einer Übergangsphase zu einer echten globalisierten Wirtschaft. Zurzeit gibt es eine weltweite Reise nach Jerusalem, in der in jeder Runde ein neuer Sitz gesucht wird. Die Unternehmen kommen schnell in ein Land und man muss akzeptieren, dass sie es auch wieder verlassen. Das beste Management wäre, den Schaden so zu minimieren, dass er nicht zu sozialen Unruhen führt. Es gibt nichts Gefährlicheres, als jemanden, der jegliche Hoffnung aufgegeben hat.
Sie klingen aber auch weniger idealistisch als früher.
Wenn ich zaubern könnte, würde ich diese Reise nach Jerusalem so schnell wie möglich beenden. Irgendwann werden die Unternehmen nämlich dort enden, wo sie begonnen haben. In fünfzig Jahren werden auch die Chinesen und Inder mit ihrer eigenen Wirtschaft so beschäftigt sein, dass sie weniger mit uns konkurrieren. Noch ziehen sie Investoren und Arbeitskräfte aus dem Ausland an, um zu lernen und den Wirtschaftskreislauf in Gang zu bringen. Aber irgendwann wird die Versorgung der eigenen Bevölkerung wieder Priorität haben. China und Indien werden auch eigene Industrien und Produktionen zu etablieren haben und müssen dann dort mehrere Milliarden Menschen dauerhaft beschäftigen mit all den Problemen, die das mit sich bringt. Das wird viel Energie kosten und wieder etwas Ruhe bringen.
Die wir dann wozu nutzen?
Wir könnten uns in Europa besser organisieren. Vielleicht ist bis dahin schon die Frage geklärt, ob die Türkei zu diesem Raum gehört. Ich sehe keinen Grund, sie auszuschließen. Ebenso wenig wie die Mittelmeerstaaten Nordafrikas. Dann hätte auch der europäische Raum eine Milliarde Menschen. Ich sehe mit Nord- und Süd-Amerika, einem größeren Europa und Asien vier große Blöcke, die die Konkurrenz der einzelnen Staaten beenden und die Weltwirtschaft in eine neue Konfiguration bringen. Die Probleme Afrikas bleiben dabei aber noch ungelöst.
Welche Rolle kann in so einem Quartett der Riesen noch die Politik spielen?
Sie muss die Rahmenbedingungen gestalten. Und ihren Wählern erklären, dass es in solchen Übergangsphasen immer zu Dellen von Rezessionen kommen kann. Die Menschen sind doch nicht blöd. Sie haben kein Problem, vorübergehend Opfer zu bringen, wenn es dahinter ein Ziel gibt. Die derzeitige Verunsicherung kommt doch nur daher, weil die Menschen meinen, dass keiner mehr die Orientierung hat. Visionen zu entwickeln und diese weiterzugeben, das ist Aufgabe der Politik.
INTERVIEW: STEPHAN KOSCH