piwik no script img

Archiv-Artikel

Drei Ecken, ein Sänger

Einst war Ken Steen der beste Fußballer seines Schulhofs – als Space Kelly macht er Musik mit sanften Gitarren und Texten, die von der Liebe handeln. In die richtigen Schubladen passt er trotzdem nicht

von THOMAS WINKLER

Über einen erfolgreichen Fußballer heißt es im Fernsehkommentar schon mal, er habe den Instinkt, da zu stehen, wo ein Torjäger eben stehen muss. Space Kelly ist zwar ein leidenschaftlicher Kicker, was man schon am Titel seines aktuellen Albums erkennen kann, das „Drei Ecken, ein Elfer“ heißt. Ob Ken Steen, wie Space Kelly im wahren Leben und auf dem Fußballplatz genannt wird, diesen Instinkt besitzt, ist allerdings nicht bekannt. Aber eins ist sicher: Als Musiker ist sein Talent, sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu befinden, nicht allzu ausgeprägt.

So ist Space Kelly in Japan bekannter als hierzulande, fühlte sich in Hamburg fehl am Platze, als dort die Sterne, Blumfeld oder Tocotronic den Diskurs bestimmten, und muss sich seit 1996, seit seinem Umzug nach Berlin, stets Vergleiche mit ebendieser Hamburger Schule gefallen lassen. Plattenfirmen, denen Space Kelly seine Musik anbot, reagierten eine ganz Weile stets gleich bleibend: Das sei ja sehr schön, die Texte seien ja auch lustig, aber könne er das nicht bitte rappen?

Rappen? Dann wäre er uns entgangen, der naivste, schlichteste, unbekümmertste Pop, der je aus Berlin kam, seit UKW den Senatsrockwettbewerb gewannen. „Positiv“ nennt Steen selbst seine Musik, die in glückseligen Sixties-Harmonien daherkommt, mit sanften Gitarren und verträumten Bläsern, und immer nur vom Verliebtsein, Zusammensein und Verlassenwerden zu handeln scheint: „Vorbei, vorbei, vor-ba-ba-ba-ba-bei“, singt Space Kelly mit einer Stimme, so hell, als hätte sie noch nie vom Stimmbruch gehört, während im Hintergrund die Beach Boys fröhlich winken, weil sich Brian Wilson noch nicht für immer ins Bett gelegt hat. Auch die Sprache seiner Songs hält Space Kelly „so einfach wie möglich. Niemand soll sich für doof halten, weil er meine Texte nicht versteht.“

Nicht einmal diese Texte muss man verstehen, um angesteckt zu werden von der Musik, so leicht und unbeschwert ist sie. Das Virus hat allerdings bislang vor allem Japan befallen. Eines Tages fand sich im Gästebuch seiner Webpage das Angebot eines Labels aus Fernost, seine Musik dort zu veröffentlichen. „Ich dachte zuerst, das ist ein Kumpel, der mich verarschen will“, erzählt Steen, aber das seltsame Angebot entpuppte sich als seriös. Es folgten eine begeistert aufgenommene Tournee durch Japan und insgesamt 20.000 verkaufte Platten, gut viermal so viel wie in ganz Europa. Als hilfreich stellte sich heraus, dass Steen als Sohn eines Hamburger Vaters und einer japanischen Mutter der Sprache halbwegs mächtig ist. Seine Lieder aber erscheinen auch in Japan weiter auf Deutsch, so auch das aktuelle Album, das dort bereits seit einem Jahr auf dem Markt ist.

Aber hierzulande fühlte sich Steen jahrelang musikalisch kaum verstanden. Er stürzte sich in allerlei artverwandte Aktivitäten: Er wurde DJ, organisierte Konzerte, eröffnete den „Space Kelly Club“ und nahm einen Song für den Eishockey-Club Berliner Eisbären auf, dessen Auflage längst vergriffen ist. Er arbeitete mehrere Jahre für das Bungalow-Label und stieg dort bis zum Geschäftsführer auf. Seit März betreibt er sein eigenes kleines Label, El Muto Records.

„Offiziell“ ist der Umtriebige erst 27 Jahre, inoffiziell aber immerhin alt genug, sich noch an den letzten Europapokal-Triumph des Hamburger SV erinnern zu können. Das war 1983, Felix Magath schoss das entscheidende Tor, der „kleine Knirps“ Ken kaufte als erste Platte eine Single von Haysee Fantaysee und liebte das, was die Musikindustrie als Neue deutsche Welle vermarktete. Heute covert er „Kleine Taschenlampe, brenn“ von Markus, aber damals war ans Musikmachen lange noch nicht zu denken, schließlich war Steen der begabteste Schulhoffußballer an seiner Lehranstalt. Eines Tages gestand ihm ein drei Jahre jüngerer Mitschüler: „Ich möchte mal so kicken können wie du.“ Sein Name: Otto Addo, mittlerweile Profi bei Borussia Dortmund.

Dass Steen einmal so etwas wie ein Popstar werden würde, zumindest in Japan, das war damals beim besten Willen nicht abzusehen. Nicht nur dass er bis ins Alter von 17 Jahren „eh nur Fußballprofi werden wollte“, auch die schulischen Leistungen im Fach Musik wurden oft nur mit der Note Sechs belohnt: „Bei Schulaufführungen durften alle singen oder wenigstens auf Instrumenten spielen“, erzählt er, „nur ich musste die Scheinwerfer bedienen.“

Jahrzehnte später fühlt sich Space Kelly noch immer ignoriert, diesmal allerdings von der Musikpresse. Spex ist er zu anspruchslos, den anspruchsloseren Blättern dagegen zu sehr Hamburger Schule, also loben ihn vor allem Allegra oder die McDonald’s News. Dabei hat ihm Bernd Begemann die Freundschaft gekündigt, als man zu oft miteinander verglichen wurde. „Mich hat es nicht gestört, auch wenn ich es nicht treffend fand“, sagt Steen, „aber er hat es persönlich genommen.“

Trotzdem hat sich Steen alles in allem wohl richtig entschieden, als er den Fußball aufgab. Otto Addo hat sich unlängst seine dritte schwere Verletzung in kurzer Zeit zugezogen und muss seine Profikarriere womöglich beenden. Auch für ihn hat Space Kelly einen guten, wenn auch schlichten Rat parat: „Es ist nicht das Ende der Welt“, singt er, „ob es mir nun gut gefällt.“

Space Kelly: „Drei Ecken, ein Elfer“ (El Muto/Al!ve)