: Ein gelungenes Experiment
Die Werkstatt der Kulturen feiert ihren zehnten Geburtstag. Dass das Geld knapp ist, ist für die Mitarbeiter nichts Neues. Eigentlich hat sie also nur ein Problem: Sie kann sich vor Lob kaum retten
von CLAUDIUS PRÖSSER
Havva Engin war zuletzt selten in der Werkstatt der Kulturen, ist sich aber sicher: Der Ort, wo sie am 1. Oktober zur türkischen Vertreterin im Integrationsbeirat gewählt wurde, ist ein wichtiges Zentrum für Migrationsdebatten, eine Anlaufstelle für alle Kulturen: „Und viel gefeiert wird da auch, habe ich gehört.“
Erziehungswissenschaftlerin Engin ist nicht die einzige Fürsprecherin: An ihrem zehnten Geburtstag hat die Werkstatt der Kulturen (WdK) in der Neuköllner Wissmannstraße eigentlich nur ein Problem – sie kann sich vor Lob kaum retten. Migrantenvertreter, Integrationsbeauftragter, alle freuen sich über das Gelingen eines Experiments, das im Oktober 1993 unter der Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) startete. Keinen „Supermarkt der Kulturen“ wollte man, sondern ein Forum für interkulturellen Austausch. Die Idee war älter: Richard von Weizsäcker hatte als Regierender Bürgermeister 1982 einen interkulturellen Treffpunkt angeregt.
Die Mühlen des Senats mahlten langsam, aber dafür wurde 1993 geklotzt: Die WdK bezog ein veritables Schlösschen, eine modernisiertes Brauereigebäude am Rande der Hasenheide. Auf die Bilanz ihres Hauses blickt Marita Czepa vom WdK-Team mit Stolz: 35.000 Besucher bei 600 Veranstaltungen, zwei Drittel davon Kulturevents im engeren Sinne, sind es im Schnitt jährlich. Neben der Förderung der interkulturellen Off-Theater-Szene ist die Musik ein Schwerpunkt der WdK-Arbeit: Auf dem im Zweijahresrhythmus ausgetragenen Festival „Musica Vitale“ konkurrieren Profis und Halbprofis um den „Musikpreis der Kulturen“. Gar nicht zu reden vom Aushängeschild Karneval der Kulturen, der an Pfingsten Hunderttausende auf Kreuzbergs Straßen lockt.
Zweites Standbein der WdK: Tagungen und Seminare zu migrationskulturellen und -politischen Themen. Über 150 Termine zählt Czepa im Jahr, etwa eine Fortbildung für Pädagogen, die die „Werkstatt Religionen“ einmal im Jahr zu Themen wie „Leben, Sterben, Bestatten“ anbietet.
Auch Graswurzelarbeit wird in der Werkstatt gemacht. Communities treffen sich hier zum Feiern und Diskutieren. Neujahrsfeste der Kambodschaner, Erntedank der Tamilen – jeder Verein bekommt maximal zwei Termine im Jahr; das beugt Verdrängungstendenzen vor.
Das alles hat der WdK bei den Migranten im Gegensatz zur allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung einen hohen Bekanntheitsgrad verschafft, glaubt Geschäftsführer Andreas Freudenberg: „Die Werkstatt wird gesucht, wir sind anerkannter Partner für Künstler und Vereine.“
Auch der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening ist des Lobes voll: Die WdK sei „eine echte Werkstatt“, ein „Dach für den Austausch der Migrantengruppen miteinander und übereinander“. Am Konzept des „Laboratoriums“ WdK sieht Piening keinen Korrekturbedarf. Mit Freudenberg hat er die Debattenserie „Under construction – Einwanderungsstadt Berlin“ entwickelt, zum Auftakt diskutierten Vertreter islamischer Vereine mit Bürgern über Moscheeneubauten. Entsprechend bleibt die WdK für Piening ein „vorrangiger Ansprechpartner, wenn über die Zukunft der Einwanderung nachgedacht werden soll“.
Wer so viele Freunde hat, muss nicht unter Existenzängsten leiden. Tatsächlich wurden laut Piening die Fixkosten für Gebäude und Personal im Haushaltsplan 2004/2005 fortgeschrieben. Dennoch wird die Finanzierung dem Werkstatt-Team weiter graue Haare bereiten. Einsparpotenziale gebe es nicht mehr, so Geschäftsführer Freudenberg (siehe Interview). Jeder Workshop, jede Debatte muss aus Drittmitteln und Eigeneinnahmen bestritten werden. Vielleicht hilft ja der „Kulturpreis der kulturpolitischen Gesellschaft“, den die WdK heute verliehen bekommt. Die 1.000 Euro Dotierung sind nebensächlich, schwerer wird die Ausstrahlung der überregionalen Ehrung wiegen.