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Archiv-Artikel

Äpfel durch Birnen ersetzen

Ab 2005 soll es weniger Plätze in Frauenhäusern geben. Abhilfe sollen mehr Zufluchtswohnungen bieten. Kritik: Zufluchtswohnungen können nicht gegen Frauenhäuser ausgespielt werden

VON WALTRAUD SCHWAB

Im Zuge der Kürzungen beim zweiten Frauenhaus sollen ab kommendem Jahr 26 Plätze für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen gestrichen werden. Derzeit sind die in Berlin vorhandenen 301 Frauenhausplätze zu 97 Prozent ausgelastet. Ungewiss ist zudem, ob das Haus nicht ganz aufgelöst wird, da die Immobilie verkauft werden soll. Von den PolitikerInnen wird diese Verschlechterung mit der Ankündigung beschönigt, dafür würden 14 neue Plätze in Zufluchtswohnungen geschaffen. Plätze in Zufluchtswohnungen seien – ungeachtet dessen, dass der Abbau von etwas Funktionierendem und die Initiierung von etwas Neuem Kosten verursacht – billiger.

Durch die Argumentation des Senats würden Frauenhäuser gegen Zufluchtswohnungen ausgespielt, kritisieren nun die im Antigewaltbereich Tätigen. „Die eine Einrichtung lässt sich nicht gegen die andere aufrechnen. Beide sind notwendig“, sagt Karen Meyer von Verein Frauenzimmer e. V., der 23 Plätze in Zufluchtswohnungen betreut.

Dass es in Berlin Frauenhäuser gibt, in die misshandelte Frauen flüchten können, hat sich in den 25 Jahren ihrer Existenz herumgesprochen. Weniger bekannt ist allerdings, was genau Zufluchtswohnungen sind und was sie von Frauenhäusern unterscheidet. Verteilt über Berlin gibt es ein Netz von 45 Zufluchtswohnungen, deren Adressen geheim sind. Insgesamt können dort 130 Frauen, egal welcher Herkunft und Nationalität, die nicht länger in bestehenden Gewaltbeziehungen leben möchten, mit ihren Kindern unterkommen.

Anders als ins Frauenhaus, ziehen vor allem Frauen, die nicht akut bedroht sind, in Zufluchtswohnungen ein. Sie haben sich meist schon überlegt, ob und wie sie aus der Beziehung mit ihren Misshandlern aussteigen wollen. Über die zentrale Hotline der Antigewaltprojekte etwa können sie in Kontakt mit den entsprechenden Trägern wie dem Frauenzimmer e. V. kommen. Beim Erstgespräch wird der Auszug aus der Wohnung des gewalttätigen Familienmitglieds geplant und alle formalen Notwenigkeiten, wie Scheidung, Regelung der finanziellen Absicherung, Anmeldung der Kinder in neuen Schulen etc. in die Wege geleitet.

Frauen, die in Zufluchtswohnungen unterkommen wollen, erhalten einen Mietvertrag und zahlen Miete, weshalb Zufluchtswohnungen die Steuerzahlenden weniger kosten als Frauenhausplätze. Die Wohndauer wird übrigens nicht begrenzt. „Im Durchschnitt bleiben die Frauen bis zu sechs Monaten“, erläutert Meyer. Jede Frau habe eine Ansprechpartnerin, die ihr bei Behördengängen und in persönlichen Krisensituationen hilft. Kinderbetreuung wird, anders als in Frauenhäusern, in Zufluchtswohnungen nicht geboten.

Im Frauenhaus sind die Rahmenbedingungen weniger angenehm. Hier leben mehrere Frauen mit Kindern auf einem Zimmer, die Einrichtung ist spartanisch. Trotzdem ist die Gemeinschaft der Betroffenen für viele Frauen ein wichtiges stabilisierendes Moment. Vor allem Frauen mit Migrationshintergrund, die, laut einer neuen Studie des Bundesfamilienministeriums, besonders stark von familiärer Gewalt betroffen sind, finden hier Leidensgefährtinnen. Gegenseitig bauen sie sich auf und machen sich Mut. Denn gewalttätige Beziehungen hinterlassen nicht nur physische, sondern auch psychische Spuren. Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen helfen, diese zu bewältigen. Um den Betroffenen baldmöglichst einen Weg zurück in ein selbstständiges Leben zu ermöglichen, koordinieren sich Frauenhäuser und Verwalterinnen von Zufluchtswohnungen. Sind Plätze in den Wohnungen frei, können Frauen, die weiterhin aufgrund einer familiären Bedrohung an gesichertem Ort leben müssen, in die Zufluchtswohnung wechseln. „Zerschlagung eines dieser Bausteine der Antigewaltarbeit“, meint Karen Meyer, „ist in der gegenwärtigen Situation unverantwortlich“.