: Der Mann in Weiß
VON ULF ERDMANN ZIEGLER
Richard Avedon war ein kleiner, zierlicher Mann, mit schwarzer, dann silberner Mähne, deren Rockstarschnitt er auch dann nicht aufgab, als sie schütterer wurde. Er hatte diese großen Augen, die verrieten, dass er die Kontrolle niemals aufgab – die Kontrolle seines Gegenübers, die Kontrolle seines Unternehmens, die Kontrolle seiner selbst.
Er gründete 1946, also mit dreiundzwanzig Jahren, das Richard Avedon Studio in New York und wurde ein fast wöchentlicher Lieferant des Glamourporträts für das Magazin New Yorker. Fast vier Jahrzehnte später engagierte ihn die Nobelzeitschrift – als ersten und einzigen – Redaktionsfotografen. Damals war er bereits siebzig. Am Freitag, im Alter von 81 Jahren, starb der geborene New Yorker ausgerechnet in San Antonio, Texas. Unterwegs für eine Wahlkampf-Reportage, erlag er den Folgen einer Hirnblutung.
Wie alle großen Fotografen, hat Avedon ein paar Bilder hinterlassen, die über ihn hinausgewachsen sind und sich nur noch flüchtig mit seinem Namen verbinden: Das Bild eines Mannes, der strahlend mit breitem Gesicht sich selbst Teufelshörner aufsetzt. Es heißt „Charlie Chaplin verlässt Amerika“, aufgenommen 1952. Da gibt es das nahe Porträt eines uralten Schwarzen mit einem langen Gesicht, die Augen illuminiert wie Edelsteine: „William Casby, als Sklave geboren“ aus dem Jahre 1963.
Da begegnet man, noch knapper ins Bild gerückt, einem unerbittlichen Herrn mit Brille, und über dem linken Glas der Brille eine schwarze Augenklappe: Filmregisseur John Ford, fotografiert 1972. Sein am weitesten gereistes Bild ist vielleicht das stille Doppelporträt von Simon und Garfunkel auf dem Cover von „Bookends“.
Avedons großer Lehrmeister, gleich nach dem Kriegsdienst in der U. S. Army, war Alexey Brodovitch, der aus Russland stammende Art-Director der Modezeitschrift Harper’s Bazaar, bei der Avedon bis 1965 unter Vertrag stand. Brodovitch ermunterte die Fotografen, die fotografische Form bis in die wildesten Experimente auszureizen, um den Gefühlen Raum zu geben. Von ihm angetrieben, hat Avedon in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, mit großem Erfolg, die Modefotografie als Kunstform revolutioniert. Er ließ die Zügel schießen: Hunde, Elefanten und Tauben waren genauso willkommen wie Horden von Gaffern, springende Diven und nackte Brüste.
Avedon hat die Mode im Elitären belassen, aber mit feiner Ironie ihre groteske Seite hervorgehoben. Seine besten Modefotos ließ er später in Stahl und in Gold rahmen und im Museum zeigen, 1978 im New Yorker Metropolitan – denn Mode war für ihn Vergangenheit. Bei der Vogue war Richard Avedon bereits 1970 ausgeschieden, er war entschlossen, als Porträtist in Erinnerung zu bleiben. Und so ist es auch gekommen.
Zunächst ist es nicht die psychologische Intensität des Porträts, die man mit Avedon verbindet. Es ist eine formale. Die Porträtierten erscheinen fast immer vor einem weißen Hintergrund, und dieses Weiß ist gerahmt von der Schwärze des fotografischen Negativs. Wenn es nicht möglich war, die Leute ins New Yorker Studio zu bekommen – der alte John Ford zum Beispiel oder der uralte William Casby –, dann nahm Avedon sein Studio eben mit.
Überall konnte er diese fotografische Form erzeugen, und dabei, gewissermaßen ungesehen oder von Geisterhand, eindringlich Licht setzen: Viel Licht, dessen Schattenführung nicht ins Schwarze überging, sondern im dokumentarischen Grau blieb, auf das Feinste konturiert.
Avedon war kein Sammler von Prominentenbildchen. Ja, er hat amerikanische Präsidenten fotografiert, Dwight Eisenhower und Gerald Ford, Stars vom Broadway, aus Film und Kunst. Diese Porträts jedoch hat er eingebaut in ein gewaltiges Projekt der Beschreibung seiner Gesellschaft. Den Zyklus der „Menschen des 20. Jahrhunderts“, von August Sander in Deutschland begonnen, hat Avedon in Amerika, ohne Titel, vollendet.
Seinen ungeheuren Ernst bewies Avedon, als er sich 1973 entschloss, seinen Vater Jacob Israel Avedon zu fotografieren, in dessen Gesicht sich der Stolz, noch mitzumischen, mit der schieren Angst vor dem Tod in eindringlicher Weise verbanden.
Da allerdings war die Furcht erregende Statur des Porträtisten Avedon längst sichtbar geworden. Engagiert vom Magazin Rolling Stone, zeigte sich Avedon um 1970, mitten in der Eskalation des Vietnamkriegs, auf der Höhe seiner Zeit: Er entwickelte eine Technik, Figuren im Fries zu choreografieren, eine Art Studiopanorama, das aus mehreren fotografischen Belichtungen montiert war.
In dieses soziologische Experimentalkabinett stellte er hohe Tiere aus der Regierung Nixon, die als Verschwörer verurteilten Chicago Seven, die ganze herrliche exhibitionistische Factory von Andy Warhol und den Poeten Allen Ginsberg – der bärtige Buddhist in der Mitte seiner amüsierten Familie und die im Sonntagsstaat: Diesen anderen New Yorker Juden hat Avedon offensichtlich sehr geschätzt. Avedon sah zwar etepetete aus, aber das täuschte: Als Fotograf, zumindest, hatte er keinerlei Berührungsangst.
Inspiriert von den Möglichkeiten der Magazine, wurde Avedons eindringlichste Form der Vermittlung das fotografische Buch. Den Text zu seinem Debüt, „Observations“, 1959, schrieb der junge Starautor Truman Capote. Sein Schulkamerad James Baldwin kooperierte mit Avedon für „Nothing Personal“, das auf Deutsch unter dem Titel „1964“ erschien. Beides waren kunstvoll gestaltete Bücher, hochnäsig, nörgelnd, charmant, voyeuristisch. Heute sind sie Preziosen auf dem antiquarischen Markt. Dann war lange Pause.
1985 schob er ein Meisterwerk nach: „In the American West“, seine Porträts von Tagelöhnern und Tagedieben, von Rodeocowboys und deren Wirtinnen. Die Spuren des Lebens, die Furcht, die Scheu, die verpassten Chancen – all das drängte Avedon mit großer Geste in sein makelloses weißes Format. Was er anfasste, wurde Hochkultur.
Viele Hinweise auf sein wucherndes Geschäft, mit dem Hintergrund eines offenbar bestens organisierten Archivs, bietet das Quellenwerk „Evidence“. Avedon war schon immer seine beste Werbeagentur, manchmal bis an die Schmerzgrenze bemüht, sein Werk vor dem Publikum auszulegen und in das rechte Licht zu rücken. Hinter der Monumentalität seines Porträtwerks aber liegt etwas Feines, vielleicht sogar etwas Sanftes, und sobald die Zeit dafür kommt, wird man diesen Schatz heben.