: Freiheitsstrafe in NRW nur als letztes Mittel
Zahl der Verurteilungen sinkt auf niedrigsten Stand seit 1965. Kriminologe kritisiert besonders mangelnde Aufklärung von Gewalt gegen alte Menschen. Liberale und Christdemokraten erklären die Justiz dagegen für „total überlastet“
DÜSSELDORF dpa/taz ■ Die Zahl der verurteilten Straftäter ist in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit 1965 gefallen. Insgesamt wurden rund 163.000 Personen verurteilt - 3.100 weniger als 2002. Das berichtete Justizminister Wolfgang Gerhards (SPD) am Montag in Düsseldorf bei der Vorlage der Strafverfolgungsstatistik 2003. Die Zahl der verurteilten Gewalttäter erreichte dagegen mit rund 17.000 den höchsten Stand seit 17 Jahren. Als unberechtigt wies Gerhards Vorwürfe zurück, die Justiz lasse zu viele Täter laufen.
Der Vorsitzende des Landespräventionsrats und Direktor des Kölner Instituts für Kriminologie, Prof. Michael Walter, forderte eindringlich Maßnahmen, um Gewalt gegen Pflegebedürftige einzudämmen. „Wir haben alle Anzeichen einer massiven Gewaltsituation.“ Nach Expertenmeinung müsste eigentlich jeder dritte oder vierte Todesfall in Pflege-Einrichtungen gerichtsmedizinisch untersucht werden, sagte der Kriminologe. Tatsächlich werde Gewalt gegen Alte und Kranke bei der häuslichen Pflege und in den Heimen „so gut wie überhaupt nicht ausgeleuchtet.“
Der sinkenden Zahl von Verurteilten steht in der Statistik eine wachsende Zahl von polizeilich ermittelten Tatverdächtigen gegenüber. Sie stieg gegenüber dem Vorjahr um 3,5 Prozent auf knapp 480.000. Auch die Justiz ist weiterhin mit steigenden Fallzahlen konfrontiert. Zugleich werden immer mehr Verfahren eingestellt - inzwischen fast 30 Prozent. Jeder fünfte Verurteilte erhält eine Freiheitsstrafe. In 70 Prozent dieser Fälle wird sie zur Bewährung ausgesetzt.
Die Zahlen belegten „ein flexibles und intelligentes Strafkonzept des Gesetzgebers“, meinte Gerhards. CDU und FDP warfen dem Justizminister dagegen Schönfärberei vor. „Die Justiz in NRW ist total überlastet“, erklärte der justizpolitische Sprecher der CDU, Peter Biesenbach. „Deshalb hat sie zu wenig Zeit für die Aufklärung der Sachverhalte.“