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Archiv-Artikel

Dann geht doch in die Kirche!

Über das Schulfach Religion diskutieren in Bremen Parteien und Kirchen. Letztere finden, Muslime und Christen sollten besser getrennt unterrichtet werden. An der Realität geht eine solche Haltung vorbei, wie ein Unterrichtsbesuch in einem Multikulti-Gymnasium am Stadtrand zeigt

„Konflikte bleiben, aber die Schüler lernen das Aushalten“

VON EIKEN BRUHN

„Lächerlich“, sagt Jasmina und sieht dabei nicht aus, als wäre ihr zum Lachen zumute. Dazu ist der 19-Jährigen das Anliegen, für das sie und 20 weitere Schüler und Schülerinnen eines Bremer Gymnasiums gerade freiwillig ihre große Pause opfern, zu wichtig. In ihrer Stadt ringen Parteien und Glaubensgemeinschaften um die Zukunft des Religionsunterrichts. Jasmina hofft, dass sich die Grünen durchsetzen werden mit ihrer Forderung nach einer allgemeinen neutralen Religionskunde. Und nicht die Katholische und die Evangelische Kirche, die CDU und einzelne, aber einflussreiche SPD-Mitglieder.

Denn wenn es nach diesen ginge, dann gäbe es keinen gemeinsamen Unterricht von Muslimen und Christen. Dann würde Jasmina, deren Eltern aus dem Iran stammen, in Islamkunde unterrichtet. Rebecca und Martha hingegen, mit denen sie eben in der Stunde noch über Gewissensentscheidungen diskutiert hat, hätten Biblische Geschichte, wie Religionsunterricht in Bremen genannt wird. Oder könnten sich wie die Religionslosen, die Hinduisten, Buddhisten und Sikhs, die ebenfalls diese Schule am südlichen Stadtrand besuchen, zwischen den beiden Fächern und Philosophie entscheiden.

Lächerlich findet Jasmina die Behauptung der Kirchenleitungen, sie würden damit in ihrem Interesse handeln. Kinder und Jugendliche hätten ein Recht auf eine „authentische“ Darstellung „ihrer“ jeweiligen Religion, sagt der Schriftführer der evangelischen Kirche und der Propst der Katholischen Kirche wünscht sich, dass nur Lehrer unterrichten, die die jeweilige „Religion von Innen“ kennen. Eine glaubensneutrale Religionskunde, so ihr zentrales – man könnte auch sagen, ihr einziges Argument – wäre zu oberflächlich.

Jasmina ist fassungslos. „Wenn ich etwas über meine Religion erfahren will, dann gehe ich in die Kirche oder in die Moschee, in der Schule hat das nichts zu suchen“, kontert sie. Die anderen in der Runde nicken. Junge Frauen und Männer zwischen 16 und 19 Jahren, einige sind sehr religiös, andere weniger oder gar nicht. Katholiken, Atheisten, Protestanten, Muslime, Russisch-Orthodoxe, Aleviten. Sie sitzen hier im vierten Stock des Betonklotzes des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums, weil die drei Religionslehrerinnen der Schule in ihren Oberstufen-Klassen gefragt haben, wer seine Meinung zum Thema Religionskunde sagen möchte. Manche konnten oder wollten nicht persönlich kommen, haben aber ihre Gedanken aufgeschrieben, auch die von Siebtklässlern sind dabei. Einige wenige finden Religionsunterricht überflüssig. Aber auch sie sagen: Wenn es ihn gibt, dann bitte für alle zusammen.

Die Trennung in „Wir Muslime“ und „Wir Christen“, wie Adnan es nennt, würde die Kluft zwischen den ohnehin oft getrennt auftretenden Gruppen nur vergrößern. „Da halten sich dann die einen für besser als die anderen“, befürchtet der aus Serbien-Montenegro stammende 19-jährige Muslim. Er ist wie die anderen hier überzeugt, dass der gemeinsame Religionsunterricht, so wie sie ihn in der Oberstufe kennen gelernt haben, hilft „Vorurteile abzubauen“. Die Kirchenvertreter sprechen ihnen das ab. Sie sagen, man könne sich erst mit Andersgläubigen auseinander setzen, wenn man seine eigene Religion kenne.

Deutlich wird an diesem Vormittag: Die Kirchen wollen etwas anderes als die Jugendlichen. Die einen wollen Religiosität üben, die Glaubenszugehörigkeit festigen. Jasmina, Adnan und die anderen wollen Verständigung. „Darauf könnte man doch stolz sein, wenn Religionsunterricht Integration fördert!“, ruft Yasemin, eine 18-jährige Muslima. „Es ist doch so: Das Unbekannte und Fremde macht Angst. Wenn man miteinander spricht, merkt man, dass es gar nicht so schlimm ist.“

Dabei scheint es vor allem darum zu gehen, dass „die Deutschen“ die Angst vor den anderen Deutschen, denen mit muslimischem Glauben, verlieren. Ob sie eigene Vorurteile abgelegt hätten, können Jasmina und Adnan, die sonst zu jedem Thema eine Meinung zu haben scheinen und diese klug vertreten können, nicht beantworten. Beide sind sich aber sicher, dass das Bild, dass die Nicht-Muslime von ihnen haben, ihnen jetzt gerechter wird. „Die Deutschen im Kurs dachten vorher, ihr seid viel strenger und wissen jetzt, dass wir genau so offen sind“, sagt Jasmina.

Ihre Lehrerin Christine Grewe bestätigt den Eindruck, dass der Unterricht integrierend wirkt. Seit neun Jahren unterrichtet sie Religion, oft genug hat sie erlebt, wie die Auseinandersetzung mit den Positionen des anderen eine Verständigung möglich machte und manchmal auch ein Umdenken bewirkte – auf beiden Seiten. „Die Widersprüche und Konflikte bleiben, aber sie lernen, sie auszuhalten“, hat die 40-Jährige an ihren Schülern beobachtet.

Manchmal muss sie – wie in dieser Doppelstunde vor der Pause – die Diskussion um die heißen Themen vertagen, weil die Zeit fehlt. Über das Gewissen und den Grundsatz der Gewissensfreiheit hatte sie mit den Zwölftklässlern gesprochen. Die Debatte gewinnt an Schwung, nachdem Grewe das Beispiel der Ärztin gebracht hat, die aus Gewissensgründen keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen möchte. Eine Schülerin meldet sich und spricht von einem muslimischen Mädchen, das „aus Versehen“ schwanger geworden ist. „Warum eigentlich muslimisch?“, rufen Mitschüler dazwischen. Die Schülerin ist verunsichert und bricht ihren Gedanken ab. Dafür muss Adnan jetzt dringend etwas loswerden, er schnipst mit den Fingern. „Ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, jemand das Leben zu nehmen“, sagt er, aus dem manchmal Sätze kommen, die so wenig zu seinem Äußeren zu passen scheinen. Den Kragen seines weißen kurzärmligen Hemdes mit Schulterklappen hat er hoch gestellt, um den Hals blitzt eine Silberkette und dann sagt er: „Ich versuche seit zwei Jahren so tugendhaft wie möglich zu leben und mehr mit dem Herzen zu denken.“ Oder: „Heutzutage verliert jeder sein moralisch-ethisches Denken.“ Er sagt das ganz ernsthaft und genau so ernsthaft gehen seine Mitschüler damit um.

BREMENS RELIGION

Die Bremer Grünen haben eine Debatte um den Religionsunterricht in Bremen angestoßen. Dieser heißt zwar bis zur zehnten Klasse „Biblische Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“ (BGU), ist aber nicht konfessionell gebunden. Der Name würde dennoch andere Religionen diskriminieren, sagen die Grünen und fordern deshalb eine Änderung der Landesverfassung. Die Lösung, die die Kirchen vorschlagen, nämlich die flächendeckende Einführung eines Fachs Islamkunde, lehnen sie ab. Einig sind sie sich hingegen mit den Kirchen darin, dass zu wenig Religion unterrichtet werde. Der Senat lässt derzeit in einem Internetforum das Thema diskutieren (forum.biba.uni-bremen.de), hat sich aber bereits festgelegt, dass eine Änderung der Landesverfassung ausgeschlossen ist. Die jüdische Gemeinde fordert für sich ebenfalls einen eigenen Religionsunterricht. Der Dachverband der islamischen Glaubensgemeinschaften, Schura, hingegen hat sich für eine allgemeine Religionskunde ausgesprochen. Derzeit kann man sich vom Fach BGU abmelden und alternativ das Fach Philosophie belegen. Am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium wird Religionskunde auch als Leistungsfach angeboten. EIB

Grewe unterbricht die Diskussion zu Abtreibung, bevor sie nicht mehr stoppen ist. „Das führt zu weit weg, das Thema machen wir später“, sagt sie. „Jaja, und Schwulenehe auch“, spottet ein Mädchen. Homosexualität, das ist eins der Themen, bei denen sie sich regelmäßig in die Haare kriegen, wie ein Schüler bestätigt. „Und Frauenrechte.“

Später, in der Pause, die sich weit in die nächste Stunde hinein zieht, betonen die Schüler die Gemeinsamkeiten, die ineinander verwobene Geschichte von Christen und Muslimen. Vor allem die muslimischen Schüler sind irritiert, dass die beiden Kolleginnen Grewes das allzu harmonische Bild zurecht rücken und von heftigen Auseinandersetzungen berichten. Vom alltäglich auf dem Schulhof gebrauchten Schimpfwort „Du Jude“, das nicht nur „die Kleinen“ verwenden, die noch keinen Religionsunterricht hatten und es nicht besser wissen. Wollen sie etwas unter den Teppich kehren? Nein. Sie haben Angst, dass der – falsche – Eindruck entsteht, sie stünden sich unversöhnlich auf zwei Seiten eines Grabens gegenüber. Grewe, bei der sie sich später beschweren, versteht die Reaktion. „Die muslimischen Schüler sind sehr empfindlich bei dem Thema“, sagt sie, „weil sie sich permanent ausgegrenzt fühlen, als nicht dazugehörig“.

Aber auch Grewe ist geladen. Sie, die mit Leidenschaft Religion unterrichtet, ärgert sich über die Vorstellung, sie und ihre Kollegen und Kolleginnen könnten mit einer Zielvorgabe unterrichten, Kindern und Jugendlichen die rechte Religionszugehörigkeit eintrichtern. „Das ist absurd“, schimpft die freundliche, eher ruhige Frau, „die Religiösität eines Lehrers kann doch kein Kriterium für einen qualifizierten Unterricht sein!“. Sie ist froh, dass sie nur sehr selten von Schülern nach ihrem eigenen Glauben und ihrer Religiösität gefragt wird. „Sie sollen doch ihre eigene Position finden.“

Jasmina hingegen ist froh, eine Lehrerin wie Christine Grewe zu haben. „Ich möchte nicht, dass da jemand steht, der mich danach beurteilt, ob ich ein Kopftuch trage oder nicht.“