DAS MAUT-CHAOS IST NICHT SO SCHÄDLICH WIE DAS GEJAMMER DARÜBER
: Innovationen gibt‘s nicht ohne Pannen

Die fünf großen Musikkonzerne müssen den Starttermin ihres deutschen Internet-Musikladens Phonoline erneut verschieben. Zuletzt hatten sie ihn für Herbst angekündigt, jetzt wird der Testbetrieb erst im Dezember beginnen. Die technische Abwicklung des Projekts obliegt übrigens der Deutschen Telekom. Klingelt da was? Das erinnert doch verdammt an das „Maut-Chaos“.

Der Rest des Kommentars schreibt sich nun von selbst: Die Industrie hat versagt, Innovationen verschlafen, Deutschland wird international abgehängt und am Ende blecht der Steuerzahler. Aber versuchen wir es doch einmal weniger deutsch und suchen nicht Schuldige, sondern betrachten die Probleme: Die Plattenindustrie möchte ihre Songs so ausliefern, dass sie sich nicht weiterverkaufen lassen. Dazu tüftelt sie am „digitalen Wasserzeichen“ für Musikdateien – das ist kompliziert.

Und die Maut? Hier wird ein System errichtet, mit dem Straßengebühren kilometergenau abgerechnet werden – und zwar erstmals satellitengestützt, vollautomatisch. Das Konsortium aus DaimlerChrysler, Deutscher Telekom und Cofiroute gab unzählige Aufträge an Firmen wie Siemens und IBM heraus. Die Mautdaten werden durch 100 Schnittstellen geschoben – wer je versucht hat, zwei PCs zu vernetzen, ahnt, wie knifflig das ist.

Beim französischen Toll-Collect-Konsortium Cofiroute kann man die deutsche Aufregung nicht verstehen: Dort ist man stolz auf technische Pioniere. Hierzulande ignoriert die Debatte über den Schadenersatz, wie viel Steuergelder hereinkommen werden, wenn das System erst funktioniert und ein gefragter Exportartikel wird. Schließlich will die EU ab 2012 nur noch Mautsysteme zulassen, die satellitengestützt arbeiten.

Toll Collect hat den Fehler gemacht, unter dem Druck der Politik zu knappen Zeitplänen zuzustimmen. Doch um innovativ zu sein, müssen sich Unternehmen auch mal an einem Projekt verheben dürfen, ohne gleich öffentlich gesteinigt zu werden. Der viel beschworene Schaden für den „Standort Deutschland“ jedenfalls entsteht allein durch das Gejammer. MATTHIAS URBACH