: Linke Fälle
Kampf der Schweinejustiz: Hellmut O. Brunn und Thomas Kirn erzählen die Geschichte der deutschen Linksanwälte
Ist die Geschichte der bundesdeutschen Linken nicht langsam ausreichend dargestellt worden? Ist nicht zu 68 und zur RAF alles gesagt?
So mag der mediale Anschein sein – wenn man etwas genauer hinschaut, hat dieses Bild viele Risse. Ein hart umkämpftes Thema der 70er-Jahre waren zum Beispiel die RAF-Anwälte. Von Regierung und Medien wurden sie pauschal als Sympathisanten der RAF verdächtigt, von Linksliberalen hingegen zu tapferen Verteidigern des Rechtsstaats geadelt. Stammheim war wohl die wichtigste Probe für das bundesdeutsche Rechtssystem. Verteidigerausschlüsse, zwei Anwälte, die Waffen in den Knast schmuggelten, hastig verfertigte Gesetze, die die anwaltlichen Rechte drastisch einschränkten – Vergleichbares gab es weder vorher in den KPD-Prozessen der 50er noch später, etwa in den derzeit laufenden Isamlistenprozessen. Umso erstaunlicher, dass die zeitgeschichtliche Publizistik das Thema linke Anwälte bislang irgendwie übersehen hat.
Um so verdienstvoller ist der Ansatz des Anwalts Hellmut Brunn und des Journalist Thomas Kirn, diese Lücke zu schließen. „Rechtsanwälte – Linksanwälte“ ist der Versuch eines Panormablicks, weit über die RAF-Prozesse hinaus. Die linken Anwälte, es waren wohl nicht mehr als 600, betraten nach 1967 die Bühne. Sie warfen die bürgerliche Definition des Anwalts als „Organ der Rechtspflege“ über den Haufen und verstanden sich klipp und klar als Vertreter ihres Mandanten, der es mit einer Klassenjustiz zu tun hat. Die Formel lautete „Strafverteidigung ist Kampf“. Dies halten die Autoren auch heute noch für „berechtigt“ – allerdings nur wenn es mit „einem gewissen konsensualen Verhalten auf der Basis der Anerkennung gemeinsamer Regeln und Gesetze aller“ einher geht. Und das war durchaus nicht immer der Fall: Klaus Croissant etwa hielt, wie die RAF, die bundesdeutsche Justiz für faschistisch und sich daher an keine Regeln gebunden. Etwas anderes war das berühmte, von Anwälten organisierte Info, mit dem sich die RAF-Gefangenen verständigten. Auch dies war, wie Gerichte später festhielten, eine Regelverletzung – aber eine, die in der Grauzone zwischen engagierter Verteidigung und Unterstützung der RAF angesiedelt war.
„Rechtsanwälte – Linksanwälte“ ist ein reichhaltiges, erfahrungsgesättigtes Buch. Geschrieben ist es aus der Perspektive eines parteilichen Akteurs. Wenn Zeitzeugen in eigener Sache schreiben, sind die Gefahren absehbar – renegatenhafte Abwertung einerseits, nachträgliche Verhübschung andererseits. Diese Klippen werden hier durchweg umschifft. Den Frankfurter Kaufhausbrandstifterprozess 1968 etwa bewerten die Autoren durchaus anders als in herkömmlicher linker Lesart. Dass hartherzige Richter Gudrun Ensslin mit einem unverhältnismäßigen Urteil die Rolle des gefallenen Engels aufgedrängt hatten, halten sie für eine Legende. Auch die linke Erzählung, dass es idealistische Polittäter samt und sonders mit stockreaktionären Richtern zu tun hatten, wird sanft korrigiert. „Von einem korrupten, staatsabhängigen Justizapparat, wie dies seinerzeit nicht selten unterstellt worden ist, kann trotz eklatanter Fallbeispiele nicht ernsthaft gesprochen werden“, so das Resümee.
Die Wertungen sind sympathisch unaufgeregt, der Stil ist lesbar – allerdings ist das Buch von irritierender Unordung. Eine chronologische Anordnung mag langweilig sein – warum aber am Ende des Buchs die KPD-Prozesse reflektiert werden, bleibt rätselhaft. Kurzum: Was fehlt, ist eine argumentative Ordnung. Oft wird zu viel zu bekannte Zeitgeschichte referiert. Und ein zentrales Thema bleibt vage – die Zwiespältigkeit, in der sich die RAF-Anwälte bewegten. Die Verteidiger hatten es mit einer feindlichen Öffentlichkeit zu tun – und mit Mandanten, die sie instrumentalisierten. Sie balancierten auf einem schmalen Grat. Wo die juristischen Grenzen verliefen, zeigen die Autoren anhand der Prozesse wegen des Infos und gegen Croissant. Aber was ist mit den politischen, den moralischen Grenzen? Was war mit den von Anwälten mit initiierten Folterkomitees, die später zu Rekrutierungsbüros für die zweite und dritte Generation der RAF wurden? Dies muss man heute mit kritischerem Blick anschauen als damals. Brunn und Kirn tun es nicht.
Die linken Anwälte sind heute Geschichte. Manche haben Karriere gemacht, andere sind auf der Strecke geblieben. Als Phänomen haben sie, so ein Frankfurter Richter, durch ihren kämpferischen Stil die Justiz gezwungen, „ihr großes Regelbuch häufiger aufzuschlagen und besser zu verstehen“. Die Linksanwälte, angetreten der Klassenjustiz die Maske vom Antlitz reißen, haben die bürgerliche Justiz schlauer, genauer gemacht. Darin sind sie Teil der fortwährenden Dialektik von 1968 ff. Sie haben das System, das sie stürzen wollten, verbessert. Kein schlechtes Ergebnis. STEFAN REINECKE
Hellmut O. Brunn, Thomas Kirn: „Rechtsanwälte – Linksanwälte“. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 350 Seiten, 22,90 Euro