: Folter ist Terror
David Rose zeigt in seinem Guantánamo-Buch, wie die US-Regierung „Krieg gegen die Menschenrechte“ führt
Hermann Göring gesteht: „Jawohl. Es sind Leute verhaftet worden, die noch kein Verbrechen begangen haben.“ Sie kamen in Lager, deren Zweck „die Aufnahme der vorhandenen Staatsfeinde (war), die wir als solche betrachteten“. Dieses Zitat aus dem Nürnberger Prozess stellt der englische Journalist David Rose an den Beginn seines Buches über Guantánamo – und macht damit unmissverständlich klar, wie er die heutige Kriegspolitik der USA bewertet.
So übertrieben dies anfangs erscheint, so überzeugend belegt Rose seine Einschätzung. Schon kurz nach der Invasion in Afghanistan beschloss die Regierung, in Guantánamo ein Gefangenlager einzurichten. Der Vorteil der Enklave auf Kuba, so ein Spitzenbeamter im Pentagon: „Kein Gericht wäre dort zuständig.“ Um diese Einschätzung zu untermauern, überboten sich seit dem Winter 2001 die wichtigsten Juristen von Pentagon und Weißem Haus .
George W. Bushs juristischer Berater, Alberto Gonzales, geht in einem Memorandum im Januar 2002 noch weiter: Dieses „neue Paradigma“ mache die „strikten Einschränkungen der Genfer Konventionen für das Verhör gegnerischer Gefangener obsolet und einige ihrer Bestimmungen zu veralteten Vorschriften“. Kurz: Folter ist erlaubt.
Im Rahmen seiner „verfassungsmäßigen Befugnisse“ bestätigte Bush, dass die Häftlinge von Guantánamo keine Kriegsgefangenen seien – und damit rechtlos. Diese Entscheidung bedeutete: Die USA kündigen völkerrechtswidrig den Vertrag der Genfer Konvention. Dies stellte auch ein Gutachten des Internationalen Anwaltsverbands kürzlich fest, dass Rose ausführlich zitiert.
Und warum bricht die US-Regierung das Völkerrecht und isoliert das Land in der Welt? Um Informationen über Terroristen und geplante Anschlage zu erlangen. Doch bei all seinen Gesprächen mit aktiven und ehemaligen Offizieren und Wachsoldaten, Regierungsmitarbeitern und Geheimdienstlern erfährt Rose immer wieder: Die Verhöre in Guantánamo haben keine wesentlichen Kenntnisse erbracht. Trotz Folter – oder vielleicht gerade deswegen.
Wie Rose zeigt, sind die „Verhörexperten“ schlecht ausgebildet, beherrschen nicht die Sprachen ihrer Opfer und haben wenig Erfahrung. Zudem lernen sie bald, was schon lange Stand der Forschung ist: Unter Folter sagen die Gefangenen alles, was gewünscht wird, um ihre Qualen zu beenden. Auch wenn man moralische und politische Maßstäbe beiseite ließe, so Rose, dieses Vorgehen erzielt noch nicht mal das angestrebte Ergebnis.
Zudem wird immer offenkundiger: In Guantánamo sitzen nur wenige islamistische Kämpfer. Ob sie Terroristen sind, scheint zweifelhaft. Die überwiegende Mehrheit der Häftlinge ist jedenfalls zu Unrecht dort gefangen. Rose Buch kann daran nichts ändern, aber dazu beitragen, die Debatte um Guantánamo neu zu beleben. DANIEL HAUFLER
David Rose: „Guantánamo Bay. Amerikas Krieg gegen die Menschenrechte“. Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz und Monika Noll, 192 Seiten. S. Fischer, Frankfurt/M. 2004, 14,90 Euro