: Wahnstellen
Getrieben und nirgendwo verankert: „Adieu Rosalie“, ein Roman des Münchener Tunesiers Hassouna Mosbahi
Gibraltar, Tanger, Afrika – kein Ort gilt so stark als Grenzlinie zwischen dem europäischen Kontinent und dem afrikanischen wie die Meerenge von Gibraltar. Dort, wo sich Migranten unter Lebensgefahr von Süd nach Nord retten wollen. Der Ich-Erzähler in Hassouna Mosbahis Roman „Adieu Rosalie“ ist kein armer Migrant, sondern eher ein gestrandeter Poet, der sich in der Boheme von München-Schwabing herumtreibt und hier seine Zeit vertut. Dort lebt auch der Autor, der wie sein Protagonist aus dem tunesischen Kairouan stammt. Der Ich-Erzähler fühlt sich zum Literaten geboren, findet aber nie die Ruhe fürs Werk. Damit sein Unglück fassbar wird, fühlt er sich verfolgt von imaginären Feinden, von Menschen, die ihm begegnen und die genauso verunsichert sind wie er.
In seiner Heimatstadt Kairouan sehnte er sich einst nach der Hauptstadt Tunis, später dann nach Europa: „Ich wollte vor allem ein völlig gleichgültiger junger Mann sein, wollte mein bisheriges Leben hinter mir lassen … und ich war bereit, mich den Stürmen der schwierigen Reise ins Absolute auszusetzen.“ Die Sturm-und-Drang-Zeit ist vorüber. Nun sehnt er sich in seiner Einsamkeit im schönen München nach dem Orient: nach Rosalie, der Sinnlichen, der Zärtlichen, der Unberechenbaren. Sie ist seine Erinnerung, seine Obsession. Schließlich fährt er nach Tanger, wo er sie zu finden glaubt. Erfolglos. Die Verkörperung seiner Liebe zum Orient lässt sich nicht wiederfinden. Sie ist eine Fata Morgana, purer Wahnsinn. Die Erinnerung und ihre Versprechen lassen sich nicht zusammenbringen mit der Realität in Tanger. Sie driften hoffnungslos auseinander. Was bleibt ist die Enttäuschung und die Vertreibung aus dem Paradies, das Rosalie, der Orient, zumindest in der Fantasie war.
„Adieu Rosalie“ ist die Geschichte von innerer Heimatlosigkeit: getrieben und nirgends wirklich verankert sein. Dies nimmt am Ende wahnhafte, paranoide Züge an. Hassouna Mosbahi erzählt sehr dicht, seine Beschreibung der Orte, Personen, Erinnerungen und Ereignisse ist plastisch. Man geht gern mit auf die Suche nach Rosalie. Und merkt erst spät, wie man selbst dem Wahn und den existenziellen Ängsten eines modernen Heimatlosen aufsitzt.
EDITH KRESTA
Hassouna Mosbahi: „Adieu Rosalie“. Aus dem Arabischen von Erdmute Heller, A 1 Verlag, München 2004. 205 Seiten, 18 Euro