Urdrüs wahre Kolumne
: Heute mal anders!

Die letzten Tage gehörte mir mit meinen Kindern die Insel Hiddensee als Leihgabe von Ringelnatz und/oder Gerhard Hauptmann. Und natürlich im Handgepäck all die Schnipsel, die zur Erstellung einer wirklich wahren Kolumne erforderlich sind.

Gestern Morgen aber hieß es schon um 6 Uhr früh, über den Strelasund gen Stralsund zu schippern und von dort per Bahn nach Berlin, wo es galt, Worte von aggressiver Freundlichkeit zur Eröffnung der wunderbaren Ausstellung „Wem gehört die Stadt?“ von Carlos Antoniazzi im Kulturhof Schönhauser Allee zu finden und dabei nicht allzu sehr abzufallen gegen die Zwote-Juni-Kämpferin Inge Viett, die in diesem Rahmen aus ihren „Einsprüchen“ vorträgt.

Zurück auf dem Eiland aber blieb die Diskette mit der eigentlichen wahren Kolumne dieser Woche – eine Diskette, die warum auch immer niemand der Insulaner dort zur Übersendung an die taz bremen öffnen konnte – so schwer macht es die Technik mitunter dem reisenden Propheten! Immerhin gab sich Chef Armin vom Dienst mit meinem Angebot zur Güte zufrieden, einige Sätze zu diesen Umständen als Alternative zu liefern – möge es die geneigte Leserin also bitte auch so hinnehmen.

Auf dem Schiffchen jedenfalls war der Tresen der Schlichtgastronomie vollgestellt mit jeder Menge Beck’s-Biergläsern in englischer Beschriftung, ausgeschenkt aber wurde in eben diesen schon am frühen Morgen nicht die monopolistische Interbrühe, sondern ein vorzüglicher Trunk namens Störtebecker, ausdrücklich in der dazugehörigen Reklame ausgewiesen als „Das Bier der Gerechten“. Vom Bier der Gerechten war es in Berlin am Ostbahnhof nicht mehr weit bis zum Zorn der Gerechten, denn im U-Bahn-Fernsehprogramm wurde als Top-Nachricht verkündet, dass sich die Schlapphüte des BND künftig in neuen Räumen ganz und gar offen geben wollen. Die Geheimdienstzentrale als Teil einer modernen Passage mit Cafés, Bistros und Boutiquen! Dabei hat die Kneipe als Akquisitionsinstrument für Nachrichtendienstler ja nun schon so einen Bart – erinnern wir uns doch bitte an den „Kelch“, wo der Schwejik Josef sich für fünf Uhr nach dem Krieg zu verabreden pflegte und der Geheimkommissar Brettschneider die Gespräche über Fliegen verfolgte, die dem Kaiser auf den Kopf geschissen haben.

Zurück zur Ausstellungseröffnung, die auch durch die Anwesenheit der Autorin und samstäglichen WELT-Kolumnistin Iris Hanika geadelt war, in deren neuem Suhrkamp-Büchlein „Das Loch im Brot“ die bis zur Bewusstlosigkeit vertraute Adorno-Sentenz „Geliebt wirst du einzig, wo du stark dich zeigen darfst, ohne Schwäche zu provozieren“ ihren ebenso weiblichen wie einsichtigen Widerspruch erfährt, was dann so lautet: „Geliebt wirst du einzig, wo du dich stark zeigen darfst, ohne Schwäche zu provozieren.“ Da ist viel dran!

Nie wieder werde ich leichtfertig auf Disketten und deren reibungslose Öffnung durch likedeelersch gestimmte Inselbewohner vertrauen, küsse mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns im Entschuldigungstaumel dir und dir die Füße und verbleibe bis zur nächsten Woche als

Ulrich
„Likedeeler“ Reineking