piwik no script img

Archiv-Artikel

Jagd auf ein Phantom

Eine der seltsamsten Kriminalgeschichten ist teilweise aufgeklärt. Die DNA-Spuren der vemeintlichen Täterin stammten wohl von Wattestäbchen

ZENTRALER ZUGRIFF

Erstmals gaben deutsche Ermittlungsbehörden 1988 eine DNA-Analyse in Auftrag, um einen Verdächtigen zu überführen. Im September 1990 fällt der Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil: Der DNA-Fingerabdruck ist zur Aufklärung schwerer Verbrechen als Beweismittel zulässig, die Gen-Analyse dann gerechtfertigt, wenn keine Informationen über genetische Eigenheiten des Angeklagten gewonnen werden. Laut Bundeskriminalamt wurden mit der Methode der DNA-Analysen fast alle Arten von Straftaten ermittelt, vor allem Diebstahldelikte, Raub und Erpressung sowie Sexualstraftaten. Seit 1998 existiert im Bundeskriminalamt in Wiesbaden eine zentrale DNA-Analyse-Datei, zu der auch die Landeskriminalämter Zugang haben.

AUS STUTTGART INGO ARZT

Die Täterin schien brutal zu sein, unfassbar, nie gab es Zeugen. Sie hinterließ nichts, außer winzige Hautreste. Das erste Mal auf einer Tasse, als sie 1993 in Idar-Oberstein einen 63-jährigen Mann tötete. Die Spur fand sich nach einem weiteren Mord 2001 auf einer Küchenschublade in Freiburg im Breisgau, später auf einer Spielzeugpistole in der französischen Stadt Arbois, nach einem Überfall auf einen Edelsteinhändler. Die DNA der „unbekannten weiblichen Person“ (UwP) wurde in den letzten Jahren über 40-mal an verschiedenen Tatorten entdeckt. Im April 2007 erschoss die UwP ohne ersichtlichen Grund eine Polizistin im baden-württembergischen Heilbronn, als die Beamtin in ihrem Streifenwagen gerade Pause machte. Ihr Kollege überlebt knapp – das „Phantom von Heilbronn“ war geboren.

Einzig es gab die UwP wohl nie. Die DNA-Spur stammt wohl von der Mitarbeiterin einer Firma, die sterile Wattestäbchen herstellt, wie sie in Laboren oder eben auch bei der Spurensicherung verwendet werden. Stern.de hatte über entsprechende Ermittlungen bei der Polizei berichtet. Bereits im Sommer 2007 wurden Kriminalisten zunehmend skeptisch. Dass eine kaltblütige Profikillerin mit einer Jugendbande im Saarland Computer aus einer Realschule raubt, mochten sie nicht glauben. In dem entsprechenden Fall waren DNA-Spuren des Phantoms auf einer Cola-Dose aufgetaucht, die vor dem Sekretariat der Schule stand. Endgültig unglaubwürdig wurde die Geschichte, als Genmaterial des Phantoms auf Fingerabdrücken gefunden wurde, die ein Asylbewerber im Saarland in einem Mordfall abgeben musste.

Auch österreichische Ermittler hatten längst Zweifel angemeldet. Dort soll das Phantom 16 Einbrüche auf dem Kerbholz haben. Nachdem am 28. September 2008 in Linz ein junger Bosnier von fünf Männern in einer Disco niedergeschlagen und getötet worden war, fand sich auf seinem Finger die DNA der angeblichen Verbrecherin. Die Ermittler untersuchten das gesamte Umfeld der Tat. Dann war klar, dass es sich um eine Verunreinigung gehandelt haben muss. Gleiches galt für 8 der 16 Einbrüche, für die bereits Täter verurteilt waren, ohne dass es neben der DNA einen Hinweis auf das Phantom gab.

Reinhard Schmid, Leiter des Erkennungsdienstes im Bundeskriminalamt Wien, teilte der taz mit, es habe anschließend einen Abgleich aller bei der Spurensicherung verwendeten Materialien gegeben: Handschuhe, Schutzanzüge, die DNA aller beteiligten Beamten und Labormitarbeiter wurden überprüft. Schließlich verglich man in enger Kooperation mit den deutschen Ermittlern die Inventarlisten der Spurensicherungen. Einzige Übereinstimmung: Die Wattestäbchen kamen vom gleichen Hersteller. Dazu passt auch, dass in Bayern nie eine Spur der angeblichen Täterin zu finden war – dort verwendet die Polizei Wattestäbchen eines anderen Herstellers.

In Österreich hat das Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck die Proben ausgewertet. Dessen Direktor Richard Scheithauer sagte der taz, es habe sich stets um „minimale Kontaminationen“ gehandelt. Sie bestanden aus wenigen Hautzellen, niemals handelte es sich um eine „schöne“ Spur. „Schön“ wäre möglichst viel DNA-Material, etwa Speichel an einem Zigarettenstummel oder deutliche Hautabschürfungen. Dann würden ein paar Hautzellen, die bei der Produktion die Wattestäbchen verunreinigten, nicht weiter auffallen. Oder sie wären leichter als Kontamination zu erkennen.

Die Indizien sprechen also für eine Kontamination. Entsprechend bezeichnete Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll das Rätsel um das Phantom als gelöst. Sein Kollege im Innenressort, Heribert Rech, sagte dagegen, man müsse zunächst das Ergebnis der Ermittlungsbehörden abwarten. Momentan werden bei dem Hersteller der Wattestäbchen sowie bei den Zulieferern DNA-Profile der Mitarbeiter erstellt.

Reinhard Schmid sagte der taz, es sei durchaus möglich, dass die Polizei über längere Zeit hinweg Stäbchen aus einer Bestellung verwendet habe: Üblicherweise würden größere Mengen bestellt, eingelagert und Stück für Stück an verschiedenen Tatorten eingesetzt.

Nun könnte eine Debatte über die Verlässlichkeit von Gentests entbrennen. Nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) stellt die mögliche Panne die DNA-Analysen nicht grundsätzlich infrage. Auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Heilbronn schloss aus, dass Unschuldige verurteilt würden. DNA-Spuren an einem Tatort seien der erste Schritt in einer Ermittlung. Erst dann folgt die Frage nach Motiven, Alibi und Tathergang, wobei trotz DNA-Spuren die Ermittlungsbehörden in der Beweispflicht gegenüber dem Verdächtigen stünden.

Fragwürdig bleibt auch, wie viel Ressourcen der Polizei auf eine falsche Spur angesetzt wurden. Erst zu Beginn des Jahres hatte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg die Ermittlungen im Polizistenmord von Heilbronn von der dortigen Polizei übernommen – die Beamten hatten 16.000 Überstunden angehäuft und waren überlastet. „Wir haben immer gesagt, dass es mehrere Ermittlungsansätze gibt und die DNA-Spur nur einer davon ist. Wir müssen nicht bei null anfangen“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Heilbronn.